Vampyr
raubte ihr den Atem. Er kam näher. Schweigend hob er die Hand und strich sanft über ihre Wange. Eine Berührung, die die Schmetterlinge in ihrem Herzen zum Tanzen brachte. Seine Finger gruben sich in ihr Haar und zogen sie näher. Sein Atem roch nach Whisky und seine Haut verströmte einen sinnlichen Duft, der sie berauschte. Ihr Herz schlug so heftig, dass sie glaubte, es müsse jeden Moment zerspringen. All die Jahre …
Ihre Knie wurden weich. Plötzlich fühlte sie sich von seiner Nähe überfordert. Sie war noch nicht bereit, sich dem neuen – dem wahren – Daeron zu stellen. Sie tat einen hastigen Schritt zur Seite und riss ihren Blick von ihm los. Damit war der Bann gebrochen.
»Ich werde den Hauptmann informieren.« Ihre Stimme klang erschreckend dünn in ihren eigenen Ohren. Mit zitternden Fingern griff Catherine nach einem Kerzenleuchter und verließ fluchtartig das Gemach.
5
Hellgraue Schwaden wallten durch das offene Fenster und verdichteten sich zu einer Gestalt. Ein Schatten, der augenblicklich mit der Dunkelheit in den Winkeln des Schlafzimmers verschmolz, die Augen auf den Mann gerichtet, der sich im Bett unruhig unter den Laken wälzte, als könnte er die herannahende Bedrohung spüren. Die Gestalt lächelte. Ein Lächeln ebenso grimmig wie die Entschlossenheit, die ihn vorandrängte. Er hatte einen Weg gefunden, die Fesseln seines Daseins zu sprengen. Der Preis dafür war vergleichsweise gering gewesen. Er war noch immer derselbe – einzig seine Macht war gewachsen.
Leicht wie ein Lufthauch bewegte er sich durch das Zimmer auf den Schlafenden zu. Wie jede Nacht streckte er die Hand aus und beugte sich über ihn – die klauenartigen Finger bereit, dem Schlafenden den Kehlkopf herauszureißen. Und wie jede Nacht fuhr er zurück, als hätte ein Blitz in seinen Leib geschlagen. Eine unsichtbare Mauer hielt ihn von seinem Opfer fern. Blaues Glimmen, für das Auge eines Sterblichen nicht wahrnehmbar, umgab die Hand des Schlafenden dort, wo der Ring an seinem Finger steckte. Der Ring, den er ihm einst selbst gegeben hatte, um ihn zu schützen. Welche Ironie! Er versuchte es noch einmal, doch es wollte ihm nicht gelingen, den Schutzwall zu durchbrechen.
Nacht für Nacht kam er hierher in der Hoffnung, der Schlafende hätte den Ring abgelegt – und jedes Mal wurden seine Hoffnungen enttäuscht. Dieses harmlos aussehende Schmuckstück zwang ihn trotz seiner Macht, einmal mehr auf menschliche Ränkespiele zurückzugreifen.
»Du wirst sterben, Martáinn MacKay«, flüsterte er in das Ohr des Schlafenden. »Es ist nur noch eine Frage der Zeit.«
Mit einem leisen Zischen entglitt er durch das Fenster in die Nacht.
6
Nur spärlich erleuchtete der Kerzenschein Catherines Weg. Längst waren die Letzten zu Bett gegangen und Dun Brònach hatte sich in einen Ort der Stille verwandelt. Die Gänge waren wie ausgestorben, die meisten nicht einmal beleuchtet. Zum Glück war sie geistesgegenwärtig genug gewesen die Kerze mitzunehmen, als sie davongelaufen war. Fast schon ärgerte sie sich darüber. Warum hatte sie nicht zugelassen, dass Daeron sie küsste? Wovor hatte sie Angst? Doch es war keine Angst, die sie in die Flucht geschlagen hatte. Vielmehr war sie von der Wucht ihrer eigenen Gefühle überwältigt gewesen.
Sie hatte Daeron früher einmal gemocht – lange bevor sie einander wegen zahlloser Missverständnisse und falscher Annahmen all die Verletzungen angetan hatten. Nie hätte sie jedoch gedacht, dass er derartige Empfindungen in ihr auslösen könnte. Ich hätte nicht davonlaufen sollen. Sie spielte mit dem Gedanken, zurückzugehen. Was sollte sie ihm sagen? Was würde er sagen? Statt kehrtzumachen setzte sie sich auf eine Treppe und stellte die Kerze neben sich. Wie sollte sie ihm gegenübertreten, wenn sie nicht einmal wusste, was mit ihr los war? War sie etwa dabei, sich in Daeron zu verlieben? War es bereits geschehen?
Nachdenklich starrte sie in die Dunkelheit, die das untere Ende der Treppen verschlang, schwarz wie Tinte und beinahe greifbar. Das Bild jener Kreatur stieg in ihr auf und verdrängte alle Gedanken an Daeron. Bald.
Fröstelnd erhob sich Catherine, griff nach der Kerze und setzte hastig ihren Weg fort. Finster und verlassen lag der Gang, der zur Unterkunft des Hauptmanns führte, vor ihr. Catherines Schritte hallten von den Wänden wider, vermittelten ihr ein Gefühl von Bewegung, selbst dann noch, als sie vor Farrells Empfangszimmer stehen blieb.
Die Kerzenflamme warf
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