Vampyr
jemand entdeckte, war zu groß. Andererseits konnten es sich weder Sutherland noch Murdoch erlauben, gesehen zu werden, wie sie die rechte Hand des Earls in ein Verlies sperrten. Es war leichter, sich unbemerkt einer Leiche zu entledigen, als einen Krieger, der sich mit aller Macht zur Wehr setzte, gefangen zu halten. Sobald sie sicher sein können, dass ich tue, was sie verlangen, werden sie ihn umbringen. Spätestens um Mitternacht war Daerons Leben verwirkt.
Catherine schaute zum Fenster. Fahlgraues Licht floss über die Gipfel der Berge ins Glen Beag hinab und hüllte es in nebligen Dunst. Bald würde es dunkel werden.
*
Auch lange nachdem Catherine fort und Daeron erneut in sein Gefängnis gebracht worden war, gelang es ihm nicht, den Ausdruck des Grauens in ihren Augen zu vergessen. Als hätte sie in den letzten Stunden Dinge gesehen, die nicht für ihre Augen bestimmt waren. Was war geschehen? Hatte Sutherland Hand an sie gelegt? Dann bist du ein toter Mann, Craig Sutherland!
Daeron starrte angestrengt in die Schwärze. Verschwommen erinnerte er sich daran, wie er Sutherland in seine Gemächer gefolgt war. Kurz darauf hatte ein dumpfer Schlag sein Bewusstsein ausgelöscht. Er war in völliger Finsternis erwacht. Er kauerte auf dem Steinboden, seine ausgestreckten Arme waren mit einer eisernen Kette an die Wand gefesselt, sodass er sich kaum bewegen konnte. Ein Knebel in seinem Mund machte ihm das Atmen schwer.
Immer wieder hatte Daeron sich gefragt, warum sie ihn nicht umbrachten, und nur langsam war die Erkenntnis durch den hämmernden Schmerz in seinem Kopf zu ihm durchgedrungen: Sutherland brauchte ihn als Köder. Nie wäre er auf den Gedanken gekommen, dass nicht Martáinn, sondern Catherine die Beute sein könnte. Woher weiß Sutherland überhaupt, dass sie hier ist?
Schließlich war Murdoch gekommen. Er hatte die Kette durch Lederriemen ersetzt und Daeron mit sich gezerrt. Daeron war noch immer benommen gewesen, hatte kaum mehr von seiner Umwelt wahrgenommen als eine schmale Treppe und einen Raum. Dann war er zu Boden gestoßen worden und einen Moment später war Catherine bei ihm gewesen. Er erinnerte sich an die warme Berührung ihrer Hand, ehe Murdoch ihn von ihr weggerissen hatte. Murdoch. Nach Baynes Tod war er verschwunden und weder Martáinn noch Daeron hatten länger eine Bedrohung in Roderick Baynes einstigem Handlanger gesehen.
Daeron versuchte seine Position zu verändern. Die Kette klirrte in der Dunkelheit. Tut, was er verlangt, oder ap Fealan ist ein toter Mann , hatte Sutherland zu Catherine gesagt. Wer war er? Wer stand hinter Sutherland und Murdoch? Keiner von Martáinns Gegnern schien mächtig genug, ein derartiges Unterfangen zu wagen. Wieder blitzte Catherines Bild in seinem Geiste auf. Der Gedanke, dass sie jetzt mit ihrer Angst allein war, zerfraß ihn.
Er zerrte an der Kette. Sein Atem floss schwer, behindert von dem Lederknebel in seinem Mund. Seit er zu sich gekommen war, hatte er immer wieder versucht sich des Knebels zu entledigen. Ein Strick, der bei jeder Bewegung schmerzhaft in seine Mundwinkel schnitt, hielt ihn jedoch an seinem Platz. Die Kette ließ Daeron nicht genügend Spielraum, den Knebel mit der Hand zu erreichen. Er packte ein Ende der Kette mit beiden Händen und zerrte daran. Ein Klirren antwortete ihm aus der Finsternis, gefolgt von einem Knirschen im Mauerwerk. Sofort verstärkte er seine Bemühungen. Er stemmte sich gegen die Kette. Wieder und wieder riss er daran. Zwischen seinen heftigen Atemzügen vernahm er das leise Rieseln von Stein. Immer weiter löste sich einer der beiden Ringe, an dem die Kette befestigt war, aus seiner Verankerung.
Die Metallbänder schnitten in Daerons Fleisch, bis Blut über seine Handgelenke rann. Schweiß lief ihm über Stirn und Rücken und tropfte in seine Augen. Seine Finger waren längst taub und seine Handgelenke brannten, als der Ring endlich aus dem Mauerwerk brach. Von seinem eigenen Schwung mitgerissen fiel Daeron nach hinten. Die Kette bremste seinen Sturz mit einem schmerzhaften Ruck. Sein Kopf dröhnte. Obwohl noch immer ein Ring seine Kette hielt, hatte er jetzt mehr Bewegungsfreiheit. Daeron riss sich den Knebel aus dem Mund und sank keuchend zu Boden. Sofort kämpfte er sich wieder auf die Beine und begann an dem zweiten Ring zu zerren. Der Gedanke an Catherine trieb ihn an. Er würde nicht zulassen, dass Sutherland ihr etwas antat.
Um ein Haar hätte er die Geräusche an der Tür überhört.
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