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Vampyr

Vampyr

Titel: Vampyr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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kämpfte er gegen die Erinnerung an, die ihn plötzlich mit Macht durchflutete. Er war tot gewesen, als seine Männer ihn damals nach Dun Domhainn brachten. Martáinns Klinge hatte seine Lungen zerfetzt.
    Schon lange vor diesem Tag hatten ihm seine Kundschafter berichtet, was Martáinn MacKay plante. Es war Rodericks Männern nicht gelungen, Martáinns Leben ein Ende zu setzen. Er war jedem Hinterhalt entgangen und hatte in jedem Kampf gesiegt. Nichts hatte verhindern können, dass Martáinn ihn zum Zweikampf forderte. Doch Roderick war vorbereitet gewesen. Dieselben Nachforschungen, die ihn dazu gebracht hatten, Earl Bruce zu töten, hatten ihm auch die Mittel in die Hand gegeben, den Tod zu überdauern. Roderick hatte sich sein Wissen zu Nutze gemacht und Sutherland klare Anweisungen hinterlassen, wie nach seinem Dahinscheiden zu verfahren sei. Ein Ritual hatte seine Seele gefangen und verhindert, dass sie seinem Körper zu früh entweichen konnte. Seine Seele war es auch gewesen, die all das Unfassbare beobachtet hatte, was seine toten Augen nicht mehr zu erfassen vermochten …
     
    Die Ushana hielt sich in den Schatten verborgen. Gefangen durch einen mächtigen Bann, den weder Roderick noch seine Männer über sie gelegt hatten, war es ihr nicht möglich, sich zu entziehen oder ihnen gefährlich zu werden. Wie eine Statue erhob sich ihre Silhouette in der Dunkelheit, schlank, mit langen, zarten Gliedern.
    Roderick hatte so viele Legenden über ihre Schönheit gehört, dass sich sein Körper selbst im Tode nach ihr verzehrte. Er vernahm ihr wütendes Kreischen und sah, wie sie sich in ihren unsichtbaren Fesseln wand, als Sutherland ihr den Handel anbot: ihre Freiheit gegen Rodericks Leben.
    Sie zischte eine zornige Erwiderung. Worte in einer uralten, längst vergessenen Sprache, jener Sprache, in der sie einst auch dem Unendlichen gehuldigt haben musste. Roderick hatte die alten Aufzeichnungen lange studiert, sodass er zumindest Bruchteile verstand. Die Ushana sprach von den kalten Flammen der Rache, die ihren Peiniger ereilen würden, ohne zu ahnen, dass der, der sie hier gefangen hielt, längst nicht mehr am Leben war.
    Roderick fragte sich, wie groß Bruce’ Macht gewesen sein musste, dass es ihm gelungen war, die Ushana zu binden. Was Bruce getan hatte, ging weit über einen einfachen Bann hinaus. Die Ushana vermochte es weder, Hand an jemanden zu legen, der es ihr nicht selbst gestattete, noch den Ort zu verlassen, den Bruce für sie bestimmt hatte. Er hatte es vollbracht, sie an den Grenzen der Wirklichkeit gefangen zu halten. Unsichtbar für jeden, der sich nicht der richtigen Rituale bediente. Das Wesen vor Roderick war nur ein Schemen. Das Echo einer Kreatur, von der keine Gefahr mehr ausging.
    Dann trat die Ushana aus den Schatten. Mondlicht flutete über ihren schlanken Körper. Obwohl Roderick seinen Männern eingeschärft hatte, dass die Ushana ihnen nicht gefährlich werden konnte, solange der Bann über ihr lag, wich Sutherland entsetzt zurück.
    Von ihrer legendären Schönheit war nichts geblieben. Langes schmutzig graues Haar fiel in dünnen Strähnen auf ihre Schultern. Unzählige kahle Stellen enthüllten einen runzligen Schädel. Wie Pergament zog sich die Haut über ihr ausgemergeltes Gesicht, das mehr einem Totenschädel, denn einem menschlichen Antlitz glich. Sie hob eine dürre Hand und strich sich durchs Haar, eine Geste, die bei einer schönen, jungen Frau verführerisch gewesen wäre. Bei der Ushana wirkte es wie eine stumme Drohung. Wie Spinnenfäden verfingen sich einige Strähnen unter ihren klauenartigen Fingernägeln und blieben darin hängen. Endlich nickte sie.
    Da hoben die Männer die Bahre auf, die Rodericks toten Körper trug, und brachten ihn zu ihr. Die Trage schwankte unter dem ängstlichen Zittern der Träger. Hastig ließen sie ihn vor der Ushana zu Boden und traten zurück.
    Roderick hätte Furcht verspüren müssen, doch er war bereits tot. Was konnte schlimmer sein als der Tod? Dennoch spürte er, wie seine Seele zu entweichen versuchte, nur um dem grauenvollen Anblick der Ushana zu entgehen, die nun über ihn kam. Für einen Moment fragte er sich, ob das Ritual wirklich ausreichen würde seine Seele zu halten. Doch alle Fragen wurden unter dem betäubenden Verwesungsgestank der Ushana ausgelöscht, ab diese sich über ihn beugte und ihre gelben Fänge in seinen Hals schlug.
    Gierig trank sie sein längst erkaltetes Blut. Langsam füllte sich ihr welker Körper

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