Vampyr
Gewächses mit den vertrockneten gelben Blüten, das hier überall an den Wänden aufgehängt war. Angewidert schlug Catherine einen weiteren Strauß zur Seite, dann löste sie sich von der Mauer. Vorsichtig schlich sie noch weiter nach hinten zurück. Fort von den Betrunkenen, die am anderen Ende der Gasse noch immer lautstark grölten, und weg von dem unerträglichen Gestank, der sich in ihr ausbreitete, bis sie glaubte ihn sogar auf der Zunge zu schmecken.
Taumelnd hielt Catherine auf eine Einmündung zu, bog um die Ecke und folgte dem Verlauf einer weiteren Gasse, bis sie eine schmale Passage erreichte, deren Wände frei von Stechginster waren. Erschöpft blieb sie stehen. Begierig sog sie die klare Nachtluft in ihre Lungen. Dort, wo das Kraut sie berührt hatte, brannte ihre Haut noch immer. Geistesabwesend rieb sie sich die Hand, während sie sich in der Gasse umschaute.
Auf der einen Seite wuchs das grobe, von Moos und Flechten überwucherte Mauerwerk eines Hauses aus der Nacht empor. Doch es war die andere Seite, die Catherines Aufmerksamkeit auf sich zog. Überrascht blickte sie auf die rauen Steinwände des Pfarrhauses, die silbergrau im Mondschein schimmerten, lediglich wenige Meter von ihr entfernt durch eine unscheinbare Pforte durchbrochen. Am Ende der Gasse erhob sich die Kirche. Sie musste nur noch diesem Weg folgen und um die Ecke treten, dann wäre sie am Ziel.
Die Übelkeit fiel von ihr ab und hinterließ erneut ein Gefühl bohrenden Hungers, unter dem sich ihre Eingeweide krampfartig zusammenzogen. Sie versuchte sich zu erinnern, wann sie das letzte Mal etwas gegessen hatte. Es musste über zwei Tage her sein, am Morgen nach ihrer Ankunft in Dun Brònach, als sie sich ein Haferplätzchen aus der Küche stibitzt hatte. Wirklich so lange? Es fiel ihr schwer, das zu glauben. Hatte sie nicht später noch einmal etwas gegessen? Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf. Wann immer sie es versucht hatte, war ihr entweder übel geworden oder jemand hatte sie gestört.
Kein Wunder, dass ich allmählich durchdrehe. All die Sinnestäuschungen und merkwürdig verschärften Wahrnehmungen waren vermutlich lediglich eine Reaktion ihres Körpers auf den Nahrungsmangel. Hatte sie nicht auch Geschichten von Männern im Krieg gehört, deren Feldrationen aufgebraucht waren und die daraufhin begonnen hatten, Dinge zu sehen und zu hören, die es nicht gab? Dasselbe geschah nun mit ihr.
Ein Fluch! Lächerlich! Wie hatte sie auch nur einen Moment lang annehmen können, ein Priester würde ihr mehr helfen als eine ordentliche Mahlzeit? Für diese Erkenntnis hatte sie erst den Weg nach Asgaidh zurücklegen müssen. Um ein Haar hätte sie über ihre eigene Dummheit gelacht.
Ein leises Rascheln ließ sie aufhorchen. Nahe der Wand, am Boden. Nicht weit von ihren Beinen entfernt. Catherine packte blitzschnell zu. Mit dem zappelnden Kätzchen in der Hand richtete sie sich wieder auf. Sie spürte die Wärme des Tiers unter ihren Fingern, das Pochen des kleinen Herzens, das Leben, das durch die winzigen Adern pulsierte. Ihre Finger zitterten, sodass sie ihren Griff verstärkte. Das Kätzchen maunzte leise. Langsam näherte sich die Hand mit dem Tier darin ihrem Mund. Das Kätzchen zappelte und versuchte sich zu befreien. Winzige Krallen gruben sich in Catherines Hand. Sie packte noch fester zu. Sie würde ihre Beute jetzt nicht mehr entkommen lassen. Langsam öffnete sie den Mund und entblößte ihre Zähne.
Ein Geräusch schreckte sie auf. Sie hob den Kopf und sah, wie die kleine Seitentür geöffnet wurde. Ein hagerer Mann in einfacher Priesterrobe erschien im Türrahmen. Sein Haar schimmerte silbern im Mondschein. Vater Ninian! Der Priester trug einen Eimer und war gerade im Begriff, seinen Inhalt in die Gasse zu entleeren. Da bemerkte er Catherine. Sofort hielt er inne und sah ihr aus zusammengekniffenen Augen entgegen.
Catherine gefror unter seinem Blick. Sie spürte, wie sich das pelzige Tier zuckend in ihrer Hand wand. Angewidert löste sie ihren Griff. Das Kätzchen fiel zu Boden und floh. Wie betäubt stand Catherine da. Unfähig zu begreifen, was mit ihr vorging, starrte sie den Priester an.
»Junge, was ist mit dir?« Wie eine sanfte Welle durchbrach seine Stimme die Stille. »Was tust du mitten in der Nacht hier draußen?«
Catherine schrak unter dem Dröhnen seiner Worte zusammen. Sie tat einen zögernden Schritt auf ihn zu, dann einen zweiten und dritten. Nahrung! Das Wort streifte bei Vater Ninians Anblick
Weitere Kostenlose Bücher