Vampyr
Äste und brach einen der Zweige, kaum größer als sein kleiner Finger, ab. Wenn Martáinn MacKay nicht zur Eiche kam, würde die Eiche zu ihm kommen.
10
Dunkelheit hielt Catherine umfangen. Eine seltsame Schwere erfüllte ihren Kopf, als gehöre ihr Verstand nicht zu ihrem Körper. Verwirrt fragte sie sich, was geschehen war. Die Furcht hinderte sie daran, die Augen zu öffnen. Was, wenn ich dieses Mal Daerons Leichnam neben mir finde?
Der Gedanke an Daeron brachte schlagartig ihre Erinnerung zurück. Seine Handgelenke. Der Geruch seines Blutes, der ihre Sinne erfüllt hatte, bis ihr schwindlig und übel geworden war. Sie hatte versucht ihm zu sagen, er solle Martáinn warnen, bevor der Schmerz so unerträglich wurde, dass sie zusammengebrochen war. Aufmerksam lauschte sie in sich hinein, suchte nach dem Schmerz oder einem Echo davon, doch er war fort. Einzig eine leichte Benommenheit war geblieben, begleitet von bohrendem Hunger und einer durchdringenden Kälte, die sich in ihren Gliedern eingenistet hatte.
Warum ist mir so kalt? Noch immer hielt sie die Augen geschlossen. Der beißende Gestank von Lampenöl stieg ihr in die Nase, untermalt vom leisen Flüstern einer Flamme. Doch da war noch etwas. Sie spürte die Anwesenheit eines anderen Menschen, fühlte die Wärme, die von ihm ausging, hörte das dumpfe Schlagen eines fremden Herzens und das regelmäßige Zischeln des Atems, als streiche eine sanfte Brise durch Baumkronen. Ein vertrauter Duft kitzelte ihre Sinne. Etwas Heimeliges, Warmes, das jahrelang bei ihr gewesen war, ohne dass sie es je so bewusst wahrgenommen hätte wie jetzt. Süß und schwer vermittelte ihr der Geruch ein Gefühl von Geborgenheit, das sie seit ihrer Kindheit nicht mehr gespürt hatte. Vertrauen und Liebe schwangen darin, so stark, dass sie dem Drang, die Augen zu öffnen, nicht länger widerstehen konnte.
Erleichtert stellte sie fest, dass sie in Daerons Bett lag. Doch es war nicht Daeron, der an ihrer Seite Wache hielt, sondern Betha, die schlafend in ihrem Stuhl zusammengesunken war. Die Jahre waren nicht spurlos an ihrer früheren Kinderfrau vorübergegangen. Bethas Haar war ergraut und die Falten in ihrem Gesicht tiefer, dennoch war es schön, sie zu sehen. Wie sie dasaß … ahnungslos … wehrlos. Es wäre ein Leichtes, ihr die Zähne in den Hals zu schlagen und mit ihrem warmen Blut meinen Hunger zu stillen und die Kälte aus meinen Knochen zu vertreiben. Entsetzt über ihre eigenen Gedanken fuhr Catherine hoch.
Ihre Bewegung weckte Betha. Tastend, als könne sie nichts sehen, streckte die Kinderfrau eine Hand nach der Laterne aus und machte sich an ihr zu schaffen. Grelles Licht flutete über Catherine hinweg und grub sich wie ein Speer in ihren Schädel. Nur langsam begriff sie, dass Betha tatsächlich nichts hatte sehen können. Im Raum war es dunkel gewesen, ehe sie die Laterne aufgeblendet hatte.
Die Helligkeit zwang Catherine die Augen zu schließen. Betha setzte sich zu ihr auf die Bettkante und schloss sie in die Arme. Sie roch das Salz von Bethas Tränen, doch es waren ihre Wärme und das Blut, das lebendig unter der Haut der Kinderfrau pulsierte, die sie zurückweichen ließen.
Betha griff nach ihren Händen. »Bei Gott, Kind, ich bin so froh, dass du wieder hier bist! Du musst mir alles erzählen! Es gibt so vieles, was ich wissen möchte!« Sie strich ihr über das Gesicht, wie sie es immer getan hatte, als Catherine noch klein gewesen war. Dann seufzte sie. »Du siehst müde aus.«
Catherine war bewusst, dass Betha in einer Mischung aus Sorge und Freude auf sie einredete. Doch sie war nicht länger im Stande, ihren Worten zu folgen, geschweige denn eine angemessene Erwiderung zu finden. Ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander. Das Licht schmerzte noch immer. Es müsste längst besser sein. Bethas Stimme hallte laut in ihren Ohren wider. Obwohl die Amme sanft zu ihr sprach, hinterließ jedes Wort ein hämmerndes Echo hinter ihren Schläfen. Ein winziger Impuls schien auszureichen, um einen Sturm von Empfindungen in ihr zu entfachen. Allein jetzt, da Betha ihre Hände hielt, durchströmten unzählige Sinneseindrücke ihren Leib. Wärme. Der vertraute Geruch. Hunger.
»Catherine?« Ihr Name bohrte sich wie ein Dolch in ihren Verstand. Erschrocken sah sie auf und blickte geradewegs in Bethas sorgenvolle Miene. »Kind, was ist mit dir?«
»Nichts«, presste Catherine hervor. Betha runzelte die Stirn, da fügte sie hastig hinzu: »Wirklich. Es geht mir
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