Vampyr
sie sich keine Rast gegönnt. Mit einem Pferd war die Strecke rasch zu bewältigen, zu Fuß jedoch nahm der Weg die gewundene Straße hinab einige Zeit in Anspruch. Anfangs war sie gerannt, getrieben von dem drängenden Wunsch, Rat und Hilfe zu finden. Jetzt ließen ihre Kräfte immer mehr nach. Immer und immer wieder zwang sie sich den nächsten Schritt zu tun, dann noch einen und noch einen. Sie geriet ins Straucheln und musste sich an einer Wand abstützen. Endlich blieb sie stehen. Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen eine Hausmauer und schloss die Augen. Kühle Feuchtigkeit durchdrang Plaid und Hemd, dort, wo sie den Stein berührte, und fraß sich unter ihre Haut. Langsam atmete sie ein und aus, während sie darauf wartete, dass das Gefühl der Schwäche aus ihren Knochen wich und sie im Stande wäre, ihren Weg fortzusetzen.
Ein Stück die Straße runter wurden Stimmen laut, als die Tür zum Thistle Pub geöffnet wurde. »Verschwindet! Ihr habt genug gesoffen!«
Catherine riss die Augen auf. Ihr Blick flog den Stimmen entgegen und blieb am Schild des Pubs hängen, das leicht im Wind schaukelte. Darunter standen vier johlende Gestalten. Die Männer schwankten vor Trunkenheit und mussten sich aneinander festhalten, um nicht zu stolpern. Einer von ihnen hielt noch einen Krug Ale in Händen und prostete der Wirtin zu, die ihnen die Tür vor der Nase zuschlug.
»Wirklich eine Schande!«, rief er mit schwerer Zunge. »Gerade jetzt, wo die Alte mit jedem Schluck schöner wurde!«
Die vier lachten. Einer von ihnen stimmte ein Lied an, das Catherine die Röte in die Wangen schießen ließ.
Plötzlich stieß der mit dem Krug einen wütenden Schrei aus. »Ale habe ich für heute genug!«, brüllte er. »Jetzt brauche ich ein Weib!«
Zoten reißend torkelten die Männer die Straße entlang. Geradewegs auf Catherine zu. Wie gelähmt stand sie da und starrte ihnen entgegen. Sie spürte die Gefahr, die von ihnen ausging, sah sie im frostigen Atem der Männer, der wie giftiger Dunst über ihnen in die Luft stieg. Jeden Augenblick würden sie sie ansprechen, würden ihr Obszönitäten zurufen, obwohl sie noch ein gutes Stück entfernt waren. Wenn sie sie erst erreichten, war es zu spät. Diese Männer waren zu betrunken, um dem Nein einer Frau Beachtung zu schenken. Catherines Finger tasteten nach der Wand. Langsam schob sie sich seitwärts. Womöglich konnte sie sie in einer der Seitengassen abhängen. Derart berauscht wären sie vielleicht nicht fähig ihr lange zu folgen. Und wie lange kann ich vor ihnen fliehen? , dachte sie bitter, als sie sich an ihre eigene Schwäche erinnerte. Sie musste es zumindest versuchen!
Warum sagten sie nichts? Sie sahen sie nicht einmal an. Da begriff sie es. Die Dunkelheit! Sie haben mich noch nicht entdeckt! Die Erkenntnis ließ die Erstarrung endgültig von ihr weichen. Catherine stieß sich von der Mauer ab und floh in die enge Finsternis einer Seitengasse. Hinter sich auf der Straße hörte sie das Gelächter und die schweren Schritte der Männer. Hämmernd jagte ihr Geschrei durch Catherines Kopf und brachte den Schmerz zurück. Sie wollte umdrehen und davonlaufen, doch sie fürchtete, dass die Männer jetzt nah genug waren um sie zu hören. Vorsichtig zog sie sich tiefer in die Gasse zurück. Sie hielt sich die Ohren zu, um sich vor dem tosenden Inferno, das die Schreie in ihrem Kopf verursachten, zu schützen.
Eine Gestalt wuchs in der Einmündung auf, keine zwanzig Schritt von ihr entfernt. Unter dem Johlen seiner Kameraden zerrte er seinen Kilt zur Seite und begann seine Blase mitten in die Gasse zu entleeren. Catherine drückte sich an eine Häuserwand. Der Schmerz in ihrem Kopf war mittlerweile so stark, dass er alles andere überlagerte. Blitze aus glühender Pein trübten ihre Sicht. Ein beißender Geruch stieg Catherine in die Nase und ließ sie herumfahren. Etwas berührte sie an der Wange; eine kühle, feuchte Hand, umweht vom süßlichen Gestank der Verwesung. Sie unterdrückte einen Aufschrei und fuhr zurück, da griff eine weitere Hand nach ihrem Nacken. Catherine schlug danach. Ihre Finger blieben in etwas hängen. Entsetzt riss sie die Augen auf, erwartete halb, Farrells totem Blick zu begegnen. Alles, was sie sah, war ein Gebinde aus Stechginster, das sich zwischen ihren Fingern verfangen hatte. Ein Brennen breitete sich dort, wo der Ginster sie berührte, auf ihrer Haut aus. Hastig ließ sie ihn fallen.
Die Luft war durchtränkt von den Ausdünstungen des
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