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Vampyr

Vampyr

Titel: Vampyr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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Schicht Erde. Kreischend schrammte das Metall über das Holz. Dann starrte ihm die schmucklose Oberfläche eines Eichensargs entgegen. Über ihm sog Catherine scharf die Luft ein.
    Daeron legte einen schmalen Steg an der Seite frei, gerade breit genug, um dort stehen zu können. Sobald seine Füße Halt gefunden hatten, setzte er das Schaufelblatt in den Spalt zwischen Deckel und Sarg. Für einen Moment hielt er inne. Dann stieß er zu. Knirschend zwängte sich die Schaufel in den Spalt. Ächzend gab das Holz dem Druck nach. Mit einem letzten Ruck hob Daeron den Sargdeckel. Der Anblick, der sich ihm im fahlen Mondschein bot, war ein anderer als erwartet.
    »Das kann nicht sein!«, keuchte Catherine.
    Daeron wandte sich von dem stark verwesten Leichnam ab, der ihm aus dem Sarg entgegenstarrte. Er stemmte sich am Rand der Grube ab und kletterte aus dem Grab. Erdbrocken lösten sich von seinen Gewändern und fielen zu Boden, als er sich neben Catherine aufrichtete.
    »Das kann nicht sein«, murmelte sie immer wieder. »Das ist doch nicht möglich.«
    Obwohl Daeron den Beweis dafür, dass an Vater Ninians Geschichte nichts dran war, unmittelbar vor Augen hatte, wollte sich keine Erleichterung einstellen. Die Erzählung des Priesters hatte ihm eine Erklärung für all die unbegreiflichen Dinge gegeben, die er im Laufe der Nacht gesehen hatte. Die war jetzt dahin.
    Was war mit Catherine los? Was war dem Hauptmann zugestoßen? Wie war es möglich, dass …? Daeron hielt inne, als ihm ein anderer Gedanke kam. Roderick Bayne ruhte in seinem Grab, doch das bedeutete nicht, dass in den Worten des Priesters nicht doch die Wahrheit verborgen lag. Ich habe mir eingebildet, Bayne würde hinter all dem stecken . Das war ein Irrtum. Er konnte es drehen und wenden, wie er wollte, es war immer der gleiche Name, der ihm in den Sinn kam: Ushana.
    Neben ihm stieß Catherine einen spitzen Schrei aus. Daeron fuhr herum. Sie starrte immer noch den Leichnam an, doch die Erschütterung war aus ihren Zügen gewichen, hatte einer Aufregung Platz gemacht, die ihn erstaunte. »Das ist nicht mein Vater!«
    »Catherine.« Daeron legte eine Hand auf ihren Arm. »Der Leichnam ist so stark verwest, dass man sein Gesicht nicht mehr erkennen kann, dennoch ist es dein Vater. Kleidung, Größe, Statur. Alles passt. Ich weiß, was du durchmachst, doch das ist –«
    »Nein, du verstehst nicht!«, rief sie. »Ich bin nicht verrückt! O Gott, ich bin wirklich nicht verrückt. Die ganze Zeit über dachte ich, er –« Plötzlich fuhr sie heftig zusammen und griff sich an die Stirn. »Ich dachte – ah!« Sie schwankte.
    Daeron schlang einen Arm um ihre Taille und stützte sie. »Du musst mir nichts erklären. Ich weiß, was mit dir los ist.« Und ich weiß, was dir zustoßen wird, wenn du keine Nahrung bekommst. »Lass uns zurückreiten. Dann erkläre ich dir alles. Es gibt einige Dinge, die du noch nicht weißt.«
    Der Schmerz in ihren Augen wich langsam. Was blieb, war offenes Erstaunen. Schließlich löste sie sich aus Daerons Griff und ging näher an den Rand der Grube. »Das ist nicht mein Vater«, beharrte sie. Sie wandte ihm den Rücken zu, sodass Daeron nicht sehen konnte, ob der Schmerz in ihre Züge zurückgekehrt war, doch er glaubte es am leisen Zischen ihres Atems erkennen zu können. »Komm her und sieh dir das an.« Als Daeron neben sie trat, deutete sie nach unten. »Sieh dir seine Stirn an. Was siehst du?«
    Daeron spähte nach unten. Von Rodericks Gesicht war kaum etwas geblieben, lediglich die dünne Haut, die sich über seine Stirn spannte, war noch deutlich zu erkennen. »Da ist nichts weiter als eine kleine Narbe an seiner Schläfe.«
    »Und genau das ist es! Mein Vater hat dort keine Narbe! Verstehst du? Das ist nicht mein Vater«, wiederholte sie, jedes Wort betonend. Dann flüsterte sie: »Bei Gott, dann ist alles kein Traum!«
    Doch, das ist es. Es ist ein Albtraum. Er wollte erwidern, dass sie ihren Vater seit Jahren nicht gesehen hatte und gar nicht wissen konnte, ob er sich nicht während dieser Zeit eine Verletzung an der Schläfe zugezogen hatte, aber er schwieg. Er hatte Roderick Bayne kurz vor seinem Tod selbst gesehen. Da war tatsächlich keine Narbe gewesen. »Du bist ihm begegnet, nicht wahr? Und aus irgendeinem Grund kannst du nicht über die Dinge sprechen, die mit ihm zu tun haben.«
    Catherine nickte. »Ich –« Augenblicklich verzerrte sich ihr Gesicht vor Schmerz. Dennoch setzte sie ein weiteres Mal an. »Er hat –«

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