Vampyr
der Priester ihm eben eröffnet hatte, zu einem entsetzlichen Bild. Immer wieder sah er Catherine vor sich: bleich und gepeinigt von Schmerzen. Ich will dich nicht verlieren.
Schließlich kehrte Vater Ninian mit zwei kleinen Fläschchen zurück. »Morgen ist der Tag der Ushana. Ich bin mir nicht sicher, was vor sich geht, doch der morgige Tag mit all seinen Ritualen erscheint mir …« Er seufzte. »Ich weiß nicht, was sie vorhat, doch was immer es ist, wird morgen geschehen.« Er hielt Daeron die Fläschchen entgegen. »Weihwasser. Nehmt es, es wird Euch schützen. Ich habe mein Wissen aus Büchern und alten Schriften. Es ist nicht erprobt, doch es ist alles, was ich Euch zu bieten habe. Wenn die Aufzeichnungen stimmen, hält Euch Stechginster die Ushana vom Leib, während Weihwasser – ebenso wie Tageslicht – es vermögen sollte, sie zu verletzen. Am besten besorgt Ihr Euch auch eine Waffe aus Silber! Vergesst Eure Pistole. Ihr müsst die Kreatur enthaupten, um sie zu töten – alles andere ist wirkungslos. Ein Vampyr mag Euch tot erscheinen, doch er heilt schnell. Nur wenn der Leib vor Euren Augen zu Staub zerfällt, ist die Gefahr wirklich gebannt. Vergesst das nie!«
»Das werde ich nicht.« Daeron nickte grimmig und steckte ein Fläschchen Weihwasser in seine Westentasche, das andere verstaute er im Mantel.
Vater Ninian geleitete ihn zur Tür und reichte ihm eine Laterne. »Seid vorsichtig.«
Daeron nickte. Da kam ihm ein Gedanke. »Sagt mir, Vater, wäre es denkbar, dass Ushanas Opfer unter einem Bann steht?«
»Ich las von Fällen, in denen das Opfer des Vampyrs durch die Macht, die sein Meister ausübt, zu gewissen Dingen gezwungen wurde.«
»Dann könnte es sein, dass jemand unter diesem Bann gezwungen wird darüber zu schweigen, was mit ihm geschieht?«
»Das wäre durchaus möglich.« Der alte Mann atmete tief durch, die Stirn in sorgenvolle Falten gelegt. »Ich hätte längst ahnen sollen, dass etwas nicht stimmt. Allein das plötzliche Interesse an Sarahs Geschichte hätte mich misstrauisch stimmen müssen!«
»Was meint Ihr damit?«
»Ihr seid nicht der Erste, mit dem ich darüber spreche. Vor einigen Monaten war Earl Roderick bei mir und erkundigte sich nach der alten Legende.«
Roderick Bayne! Daeron starrte den Priester an. Was, wenn …?
12
Roderick Bayne saß in den Schatten von Sutherlands Salon und starrte auf den abgestorbenen Zweig in seinen Händen, jenen kleinen Teil der Ushana-Eiche, der ihn ans Ziel hätte bringen sollen. Ihm war klar gewesen, dass er Martáinn den Zweig nicht einfach in die Hand drücken und angreifen konnte. Dank des Rings käme er nicht einmal nahe genug an ihn heran, um ihm den Zweig zu reichen. Der verdammte Ring!
Gleich nach seiner Begegnung mit ap Fealan vor dem Stall hatte Roderick sich auf den Weg zu Martáinns Gemächern begeben. Es hatte ihm nicht gefallen, dass ap Fealan sich auf die Suche nach Catherine machte, doch das zählte jetzt nicht. Wichtig war nur, dass der Waliser ihm in dieser Nacht nicht ein weiteres Mal in die Quere kam. Wenn er dafür bei Catherine sein musste, ließ sich das nicht ändern.
Roderick war in das Ankleidezimmer des Earls eingedrungen und hatte den Zweig in seinen Gewändern verborgen. In einem Alkoven hatte er gewartet, erfüllt von Ungeduld und dem Drang, endlich zu Ende zu bringen, was er vor langer Zeit begonnen hatte. Es dauerte nicht lange, bis jemand den Raum betrat, doch es war nicht Martáinn, sondern sein Leibdiener. Der Mann nahm die Gewänder und legte sie ordentlich über einen Stuhl. Dabei fiel der Zweig zu Boden. Der Diener bemerkte es nicht. Roderick jedoch begriff, es würde ihm nicht gelingen, den Zweig so in Martáinns Kleidung zu platzieren, dass dieser ihn nicht bemerkte und er beim Ankleiden auch nicht herausfiel. Nachdem der Diener gegangen war, hatte Roderick den Zweig wieder an sich genommen und sich zurückgezogen. Noch immer erfüllte ihn lodernder Zorn. Ohne den Ring wäre es nie so weit gekommen!
Das ließ sich nun nicht mehr rückgängig machen. Nachdenklich drehte er den verdorrten Zweig zwischen seinen Fingern. Schließlich wandte er sich an Sutherland. »Ihr müsst etwas für mich besorgen!«
13
Kaum hatte Daeron den Steinbogen durchschritten, flogen seine Blicke voran. Seine Augen folgten dem wankenden Schein der Laterne über den Gottesacker auf der Suche nach Catherine. Bleiche Nebelschwaden hielten die Grabsteine in kühler Umarmung umfangen und dämpften das Geräusch seiner
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