Vampyr
brauchte, um das Schmuckstück nicht loszulassen, machten es ihr unmöglich, seine Frage zu beantworten.
»Catherine? Du bist leichenblass!«
Catherines Finger zitterten. Der Schmerz war jetzt so stark, dass sie leise keuchte. Dennoch weigerte sie sich, das Medaillon freizugeben, und versuchte stattdessen die Hand zurückzuziehen.
»Catherine! Bei Gott, was ist mit dir? Sag doch etwas!«
Gib es ihm! , erklang Rodericks donnernde Stimme in ihrem Kopf. Catherines Wille zerbrach. Sie geriet ins Wanken. Martáinn machte Anstalten, sie zu stützen, doch ehe er die Hand von ihrer nehmen konnte, legte Catherine ihre freie Hand über die seine. »Nimm es«, stieß sie hervor. »Bitte. Es ist mir wichtig!«
Da endlich griff Martáinn zu und nahm ihr das Schmuckstück aus der Hand. Obwohl er nie anderen Schmuck als das Amulett seiner Mutter getragen hatte, hängte er sich jetzt das Medaillon um den Hals; golden schimmernde Verdammnis im Gewand eines harmlosen Geschenks.
Catherine schloss die Augen. Für einen Moment drangen nur Martáinns regelmäßige Atemzüge und das leise Knistern des Feuers an ihr Ohr. Dann glaubte sie einen Lufthauch zu spüren, so leicht, dass selbst sie ihn kaum bemerkt hatte. Sie öffnete die Augen. Martáinn stand noch immer vor ihr, mit dem Rücken zur Tür. Voller Entsetzen starrte sie auf ihren Vater, der auf ihn zuglitt. Nicht einmal fünf Schritt trennten ihn noch von seinem Ziel.
Martáinn! Ein leises Krächzen entrang sich ihrer Kehle.
»Himmel, Catherine! Mit dir stimmt doch etwas nicht!«
Ihr entsetzter Blick war noch immer über seine Schulter gerichtet, wo ihr Vater sich langsam näher schob. Siehst du nicht, wohin ich schaue? , schrie eine Stimme in ihr. Dreh dich um, Martáinn!
Doch Martáinn wandte sich stattdessen zum Fenster in ihrem Rücken. »Kein Wunder, wenn es dir nicht gut geht«, sagte er und trat an ihr vorbei. »Die Luft hier drin ist wirklich grässlich.« Schon hatte er das Fenster erreicht. Er packte den schweren Vorhang und riss ihn mit einem entschiedenen Ruck zur Seite. Trübes Nachmittagslicht tastete sich in den Raum. Ein Lichtstrahl berührte Roderick. Er fuhr zur Wand zurück. Blinzelnd kämpfte Catherine gegen die Helligkeit an, die ihre Augen tränen ließ und auf ihrer Haut brannte. Sie zwang sich, den Blick nicht von ihrem Vater zu nehmen, und beobachtete gebannt, wie er in eine Nische glitt und so vollkommen mit der Dunkelheit verschmolz, dass sie ihn einen Herzschlag später kaum mehr erkennen konnte. Das Licht ist sein Feind!
Martáinn stieß das Fenster auf. Ein Hauch frischer Luft streifte über Catherines Wangen. Sie wandte sich um, darauf bedacht, sich zwischen den Schatten an der Wand und Martáinn zu halten, der jetzt wieder in die Mitte des Raums trat.
Ehe sie etwas sagen konnte, klopfte es. Auf Martáinns »Herein« trat John in den Raum und verneigte sich vor dem Earl. »Die Pferde sind fertig, Herr.« Als er den Kopf wieder hob, entdeckte er Catherine. Verwirrt runzelte er die Stirn. John war ihr Verbündeter gewesen. Er hatte ihr geholfen. Gerne hätte sie ihm eine Erklärung gegeben, doch dafür war weder Zeit noch wäre sie überhaupt in der Lage dazu.
Ihre Aufmerksamkeit kehrte zu Martáinn zurück. »Du willst weg? Jetzt?« Du darfst nicht gehen! Sobald du diesen Raum verlässt und in das Dämmerlicht des Flurs eintauchst, wird Vater dich töten!
»Ich habe noch etwas zu erledigen. Mach dir keine Sorgen, ich werde rechtzeitig um Mitternacht zurück sein.«
»Und die Messe davor?« Wie konnte sie ihm klar machen, dass er nicht gehen durfte? Dass draußen der Tod wartete?
»Ich habe Vater Ninian gesagt, dass ich für mich allein im Gebet versunken um den Beistand Gottes bitten und um meine Familie trauern möchte.« Er griff nach ihrer Hand. »Um Mitternacht bin ich zurück. Dann können wir die Nacht der Ushana begehen, wie wir es so viele Jahre getan haben.« Er hob ihre Hand an seine Lippen und hauchte ihr einen Kuss auf die Fingerspitzen. Mit einem verschmitzten Lächeln fügte er hinzu: »Vielleicht auch ein bisschen anders als früher.«
Catherine verstand nicht, warum er ausgerechnet am Tag der Ushana die Burg verlassen wollte. Alles in ihr schrie danach, ihn hier im Tageslicht zu halten. Doch was dann? Die Dämmerung rückte bereits auf den Schwingen des Windes näher. Was würde geschehen, wenn sie bei Sonnenuntergang noch immer hier stünden – im selben Raum mit ihrem Vater? Daeron wird rechtzeitig zurückkehren! Er
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