Van Helsing
Dracula finden«, erklärte er. Und dafür brauche ich Sie. Vorzugsweise lebend, fügte er im Stillen hinzu.
Die Entschlossenheit auf ihrem Gesicht verschwand, und Tränen traten ihr in die Augen. Fort war die Prinzessin, die starke Frau, die zähe Monsterjägerin. Jetzt sah sie wie ein kleines Mädchen aus, verzweifelt und darauf erpicht, ihren Bruder zu retten. »Ich verabscheue Dracula mehr, als Sie sich vorstellen können. Er hat mir alles genommen und mich allein in der Welt gelassen.« Sie sank erschöpft an die Wand. Als Van Helsing ihren Kummer sah, dämmerte ihm, dass es etwas Schlimmeres gab, als keine Vergangenheit zu haben.
»Erinnerungen an jene zu haben, die man geliebt und dann verloren hat, ist vielleicht härter, als überhaupt keine Erinnerungen zu haben«, sagte er seufzend. Ihr zu helfen war töricht und gefährlich. Es würde ihn von seinem Auftrag ablenken; vielleicht würde es sogar Dracula helfen, und definitiv würde es den Kardinal wütend machen ... Zumindest einen positiven Aspekt hatte die Sache also.
Van Helsing lächelte und sagte: »In Ordnung, Anna, suchen wir Ihren Bruder.«
8
Dracula beobachtete die Dwergi bei der Arbeit. Sie waren abscheuliche Kreaturen, sogar für seine Begriffe, aber zu irgendetwas waren selbst die Lebenden zu gebrauchen. Victor Frankenstein zum Beispiel war definitiv von großem Nutzen gewesen. Er hatte dieses Laboratorium aufgebaut, was kein anderer Mensch zu Stande gebracht hätte — nicht einmal der Graf selbst, wie er zugeben musste. Dieses Eingeständnis fiel ihm nicht leicht, denn auch er war im Leben ein außergewöhnlicher Mann gewesen: Soldat, Staatsmann und Alchemist, der auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand seiner Zeit arbeitete.
Nun, im Tode war er viel mehr als das, und selbst Frankenstein in seiner ganzen Genialität hatte sich recht schnell seinem Willen beugen müssen.
Seine Günstlinge sahen ihn erwartungsvoll an, und nickend gab Dracula seine Zustimmung. Sogleich legte ein Dwerger mit seinen kleinen Fingern, die in einem Handschuh steckten, einen riesigen Schalter um, und das Laboratorium erwachte zum Leben. Lichtbögen blitzten auf, als große Dynamos, Generatoren und weitere Geräte sich mit Getöse an die Arbeit machten. Die Dwergi huschten hin und her und trafen in großer Eile die letzten Vorbereitungen.
Plötzlich blitzte es erneut, und Dracula sah nach oben zu dem Fenster im Dach, das er in jener Nacht zertrümmert hatte, als er aus dem Laboratorium geflogen war – nachdem Frankenstein sein Experiment erfolgreich zu Ende gebracht hatte. »Igor!«, rief er.
Der verwachsene kleine Mann schaute durch das Fenster nach unten, wobei er sich heftig gegen den Wind stemmte, der ihn fast wegzuwehen drohte. Der Graf hatte gut daran getan, ihn damals in Frankensteins Dienst zu stellen. Igor war ihm bei der Reparatur der defekten Geräte eine wertvolle Hilfe gewesen und hatte ihn gelehrt, die Apparate zu bedienen. Obendrein war er von Natur aus grausam und hinterlistig, und das wusste Dracula zu schätzen.
»Ja, Meister!«, rief Igor von oben.
»Bist du fertig?«
»Ja, alles vorbereitet! Wir kommen jetzt runter, um die letzten Geräte anzuschließen!«
»Gut.« Ja, die Lebenden waren in der Tat zu gebrauchen ... sogar diejenigen, die nicht als Nahrung dienten.
Dracula spürte die Anwesenheit eines weiteren Dieners. Durch einen Spalt in der Granitmauer schlüpfte der Werwolf, den Blick auf Dracula geheftet. Das Geschöpf wollte sich seinem Herrn noch nicht so recht fügen, aber das würde sich schon geben. Der Graf ignorierte die Bestie ganz bewusst. »Werwölfe sind eine echte Plage in ihrer ersten Vollmondphase. Schwer in den Griff zu bekommen!«
Die schweren Gewitterwolken, die sich vor den Mond schoben, zeigten rasch Wirkung – das Tier begann zu schrumpfen und verlor sein Fell. Wenige Augenblicke später lag Prinz Velkan aus dem Hause Valerious schmerzgekrümmt auf dem Boden.
Dracula umkreiste ihn. »Ich habe dir einen einfachen Auftrag gegeben. Du solltest herausfinden, wer unser neuer Freund ist, und du nutzt die Gelegenheit, um mit deiner Schwester zu reden!« Er hatte das Gespräch im Geist verfolgt und war beunruhigt. Velkan hatte zwar nichts Entscheidendes verraten können, trotzdem war es ihm, als der Mond von den Wolken verdeckt wurde, vorübergehend gelungen, wieder menschliche Gestalt anzunehmen.
»Lass sie aus dem Spiel, Graf!«, zischte Velkan. »Sie kennt dein Geheimnis nicht, und bald werde ich es mit
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