Van Helsing
uns wieder sehen.« Davon war sie überzeugt. Sie würde den Kampf ihrer Familie zu Ende führen. In diesem Augenblick stellte sie sich vor, wie sie von der Stärke und Entschlossenheit ihres Bruders beseelt wurde. Es war pure Fantasterei, das wusste sie, aber dennoch veränderte sich etwas in ihrem Innern und wurde hart wie Stein. Sie würde nicht scheitern!
In der Nähe rührte sich etwas; sie sah Van Helsing auf sich zuwanken. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, sprang Anna auf, stürzte sich auf ihn und prügelte mit den Fäusten auf ihn ein. »Sie haben ihn getötet! Sie haben ihn getötet!«
Ihre Schläge waren heftig, genährt von Zorn und Kummer. Zuerst nahm er sie hin, aber dann packte Van Helsing Anna an den Handgelenken und hielt sie fest. »Jetzt wissen Sie, warum man mich einen Mörder schimpft.«
Anna sah ihm in die Augen. Es lagen weder Wut noch Trotz in seinem Blick, wie sie erwartet hatte, sondern einzig eine tiefe Traurigkeit, wie sie sie noch nie gesehen hatte. Sie spürte, wie ihr Zorn sich legte. Schweigend stand sie bei ihm, dann bemerkte sie Blut auf seinem Hemd. Behutsam öffnete sie seinen Umhang. Sein Hemd war von blutigen Bissspuren gezeichnet. »Oh, mein Gott... er hat Sie gebissen.« Sie wich strauchelnd zurück und bemerkte etwas in seinen Augen, das sie noch nie bei ihm gesehen hatte: Angst. Das beunruhigte sie fast ebenso wie der Biss selbst.
Es war alles zu viel: Velkan und nun Van Helsing. Anna wandte sich ab ...
... nur um zu sehen, wie Aleeras Hand mit unglaublicher Geschwindigkeit auf sie zufegte. Schon wurde sie in die Luft gerissen, dann gab es einen Schlag, und ringsum wurde es dunkel.
Van Helsing drehte sich ruckartig um und sah, wie Aleera Anna fortschleppte. Er rannte hinterher, aber zu rasch stiegen die beiden in die Höhe. Dennoch rannte er weiter bis an den Rand des nahe gelegenen Steilhangs – doch Aleera war mit ihrem Opfer schon längst über den Abgrund hinaus.
Carl und Frankenstein tauchten neben ihm auf. Zu dritt mussten sie hilflos zusehen, wie Aleera mit Anna auf die Lichter einer fernen Stadt zuflog.
Gerade erst hatte Van Helsing Annas Bruder getötet, und nun hatte er auch noch sie verloren, die letzte der Valerious.
12
Van Helsing, Carl und Frankenstein waren die ganze Nacht durchmarschiert, und als der Morgen dämmerte, sahen sie, dass Budapest nicht mehr fern war. Die Stadt schmiegte sich in ein grünes Tal, und mitten hindurch floss die blaue Donau. Sogar aus der Ferne erkannte Van Helsing, dass die Stadt ebenso schön war wie alt. Budapest war zu Beginn der Christenheit von den Römern gegründet worden und hatte sich aus allen Epochen seiner Geschichte etwas bewahrt: Viele Türme und Zinnen von Schlössern und Kirchen ragten zwischen moderneren Häusern und Palästen auf.
Aber auch der Hüne an seiner Seite erstaunte Van Helsing: Wegen seiner eisernen Beinklammer hinkte Frankenstein stark, aber er schien eine schier unendliche Energie zu besitzen.
Ein paar Stunden später kamen – besser gesagt: wankten – sie in die Stadt. Frankenstein verbarg sein Gesicht unter einer Kapuze, aber aufgrund seiner Größe fiel er dennoch auf. Van Helsing zog seinen Umhang fest um sich, um die Bissspuren auf seiner Brust zu verbergen. Plötzlich fegte ein Windstoß über sie hinweg, und Van Helsing zog seine Pistole.
Aleera hatte sich vor ihnen auf einem Hausdach niedergelassen und schnalzte missbilligend mit der Zunge. »So viel Leid für meinen Meister, so viel Leid!«
Frankenstein wollte schon auf sie losgehen, doch Van Helsing hielt den Riesen zurück. Die Braut kicherte.
»Du hast Verona getötet. Wenn der Meister zur Liebe fähig wäre, hätte er sie sehr geliebt. Was mich angeht...« – sie lächelte kokett – »ich genieße nun die ungeteilte Aufmerksamkeit des Meisters.«
Van Helsing begriff, dass sie gar nicht kämpfen wollte und war regelrecht enttäuscht. »Was willst du?«
»Der Meister schlägt einen Austausch vor. Das Monster gegen die Prinzessin.«
Frankenstein starrte die Vampirin finster an; Van Helsing erklärte: »An einem öffentlichen Ort. Irgendwo, wo viele Leute sind.« Nun sah Frankenstein ihn an, aber Van Helsing hielt den Blick auf die Braut gerichtet. »An einem Ort, wo dein Meister weniger geneigt sein wird, seine ... andere Seite zu zeigen.«
Die Braut dachte eine Weile darüber nach, dann leuchteten ihre Augen auf wie die eines kleinen Mädchens. »Morgen ist doch Allerheiligen! Da gibt es hier in Budapest einen
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