Vanilla High (German Edition)
sie gesagt. Das werte ich nicht als Zeichen von Rassismus. Elisabeth ist eine Blondine mit kurzem Haar. Sie sieht sehr sportlich aus. Wir tauschen die ersten Nachrichten aus. Elisabeth ist etwa zehn Jahre jünger als ich, schlank und ein bisschen kleiner als ich, aber mindestens einssiebzig sollte sie groß sein. Sie trägt einen Rucksack, eine Jeans und leichte Sachen am Oberkörper. Meines Wissens sind Röcke für Frauen in den USA nicht erlaubt, wie so vieles. „Röcke, die die Waden bedecken, sind erlaubt und werden zu besonderen Gelegenheiten getragen“, sagt sie. Seattle bietet auch asiatische Sub- und Kochkultur, aber mir ist mehr nach klassischem amerikanischen Essen zumute. Der Fleischkonsum der Amerikaner ist trotz der Klimadiskussion, die seit fünfzig Jahren währt, ungebrochen. „Es ist nicht einfach, für eine verheiratete Frau, sich mit einem anderen Mann zu treffen.“ Ich habe schon ein paar Mal ihre Augen gesucht. Sie hat schöne blaue Augen, die das Zentrum ihres kleinen Gesichts bilden. Sie schlägt vor ins „Fisherman's Friend“ zu gehen, da könne sie auch Meeresfrüchte essen. Sie fragt, wie es mir geht. Was soll ich darauf antworten? Ausweichend antworte ich ihr, dass mir die Prohibition hier zu schaffen macht. „Du trinkst immer noch viel Wein?“ - „Ja und ein Keks Ganja gehört dazu. Du erinnerst dich?“ - „Ja ich erinnere mich. Ich habe ja einmal mitgemacht.“ - „Was dir nicht bekommen ist.“ Ich frage, wie es ihr geht, ohne näher nach ihrer Ehe zu fragen. Ihr gehe es gut, die Kinder können bald in die Schule und sie habe mit Peter einen sehr verständnisvollen Mann. Er arbeite als Manager in einer hiesigen Autofabrik, bei Ford. Ich kann mich nicht gegen die Gefühle wehren, die beim ersten Blickkontakt aufgekommen sind. „Ich bin leider immer noch nicht verheiratet, Lizzy. Dabei träume ich immer noch von einer harmonischen Partnerschaft und adoptierten Kindern.“ Sie guckt mich verständnisvoll an. Wenn ich doch wüsste, was in ihr vorgeht. Wie viele Gefühle von damals gibt es noch für mich? Sie sagt, dass sie Lust hätte, mit mir einen ausgedehnten Spaziergang in einen der größeren Naturparks am Rande der Stadt zu machen. Ich kann nicht widersprechen. Ich kenne ihre Absichten nicht, in jeglicher Hinsicht. Ihr Verhalten lässt darauf schließen, dass wir uns hier nicht ungestört unterhalten können. Wenn man mich als potenziellen Agenten einstuft, werde ich vielleicht beschattet. Womöglich sind Richtmikrofone auf mich gerichtet, die meine Worte aufzeichnen. Ich kann die Gefahrenlage nicht richtig beurteilen. Vermutlich kann das Lizzy besser. Welchem Risiko setze ich mich aus, wenn ich mich mit ihr treffe? Womöglich ist sie schon als Mitglied des LCL enttarnt. Ich muss ihr vertrauen. Man serviert mir ein erschreckend großes T-Bone-Steak mit frittierten Kartoffeln und Salat. Innen ist es noch blutig, so wie ich es mir gewünscht habe. Elisabeth macht dazu keine abschätzige Bemerkung. Ich weiß natürlich, dass sie als Umweltaktivistin solche Essgewohnheiten nicht gut heißt. „Das Methan ist ja nicht mehr ganz so das Problem“, sage ich mit scheinbaren schlechten Gewissen. „Bei gemästeten Rindern wird das Methan gänzlich entsorgt und viele genetisch veränderte Rinderrassen produzieren schon deutlich weniger Methan.“ - „Schon gut“, sagt sie und blickt mir lange in die Augen. Ich mag, wenn sie lächelt und das tut sie gerade. Wird sich jemand wundern, wenn wir einen abgelegenen Naturpark aufsuchen? Die Geheimpolizei wird vielleicht vermuten, dass wir ficken wollen. Per Steganographie haben wir uns schon seit Jahren heiße, mit erotischen Details gespickte Liebesmails geschickt und jetzt, da Gelegenheit ist, wollen wir unsere Fantasien ausleben. Ich bemerke, wie diese Fantasie, die ich dem hiesigen paranoiden Geheimdienst unterstelle, zur meiner eigenen wird. Sie greift zu meiner Hand, lässt sie aber schnell wieder los. So als wolle sie sich von eigenen Fantasien losreißen, fängt sie von Peter, ihrem Mann zu erzählen. Es wird mir schon ein bisschen viel. Ich versuche mich abzulenken, in dem ich sie beobachte, wie sie gekonnt ihre Krebse auseinandernimmt und isst. „Ich schaffe hin und wieder ein Abenteuer, ohne das viel Liebe dabei ist.“ Ein Versuch, das Gespräch auf mich zu lenken. „Du bist immer noch stark gläubig?“ - „Ja, in gewisser Weise, aber manchmal verhalte ich mich so, dass ich das mit meiner christlichen Moral gar nicht
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