Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition)
bekanntgeben!“
Münzthal trat vor Scherer und salutierte. Seine demonstrative Zackigkeit hatte zugleich etwas Unterwürfiges.
Nachdem sich Scherer mit betont lässiger Erwiderung des Grußes angewidert abgewandt hatte, verkündete Münzthal, womit der heutige Tag ausgefüllt sein würde:
„Die Ausbildung ist in verschiedene Abschnitte unterteilt: Bewegen im Gelände, dazu zählt auch die Sturmbahn, Schießen mit der KK-MPi (Kleinkaliber - Maschinenpistole), Schutzausbildung, Sanitätsausbildung einschließlich Maßnahmen der persönlichen Hygiene, Kenntnisse zur Orientierung im Gelände, Marschieren und Exerzieren, dazu zählt Marschgesang. Zwischendurch wird Ausdauer - und Konditionstraining mit den Sportlehrern, äh, den Kameraden Barsch, Tietze und meiner Wenigkeit stattfinden. All das erfolgt im Stationsbetrieb. Außerdem werden die Kameraden zu Ausbesserungs - und Mäharbeiten eingeteilt. Im Aushang werden diese Zeiten mit ZBV bezeichnet - zur besonderen Verfügung.
Freizeit ist nur am Sonntag - Münzthal blickte auf seinen Zettel - organisierte Freizeit, wie ihr schon gehört habt. Es findet ein Volleyballturnier statt.
Das Lager darf nur in Kampfformation verlassen werden oder wenn Ausgang gewährt wird.
Alles andere zählt als ,Unerlaubte Entfernung´. Ausgang wird aber in den noch verbleibenden neun Tagen nicht gewährt.“
„Wo hätte man am Sonntagnachmittag in dem winzigen Dorf Scheibe - Alsbach auch hingehen sollen, noch dazu in dieser merkwürdigen Uniform?“ überlegte Wilfried.
„Rennsteigwanderung vielleicht? Dazu Herbert Roth mit Akkordeonbegleitung?
Ich wandre ja so gerne am Rennsteig durch das Land …/ Bin ich weit in der Welt, habe ich Verlangen Thüringer Wald, nur nach dir!“ Als ob man als DDR - Bürger hinter Mauer und Stacheldraht weit in der Welt herumkommen würde, suggerierte diese Liedzeile zugleich, daß sich dies gar nicht lohnen würde!
Jenes Haßobjekt aller „kuhlen“ Jungs, Kulminationspunkt jedweder volksmusikalischen Spießbürgerlichkeit - wie paradiesisch wäre Wilfried eine Wanderung mit ihm nun im Vergleich zum GST - Lager vorgekommen!
Einen Moment lang blitzte ein Gedanke in seinem Hirn auf: Hatte nicht Dieter Noll in seinem Roman „Die Abenteuer des Werner Holt-Roman einer Jugend“, in dem es um einen Jugendlichen mit Jahrgang 1928 ging, der die letzten Kriegsmonate als Soldat überlebte, und der Schulstoff in der 10. Klasse gewesen war (Wilfried hatte sich allerdings auf das Ansehen des gleichnamigen DEFA - Filmes beschränkt), beschrieben, wie die Jungs, die es kaum erwarten konnten, zur Wehrmacht einberufen zu werden, vorher ein Trainingsprogramm in Eigenregie mit Sport und Scheibenschießen absolvierten?
Eigentlich mußte doch jedem klar sein, daß man in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft dergleichen nicht den Jugendlichen überlassen konnte! Begeisterung mußte in geordnete Bahnen gelenkt werden. Man hatte ja die Lehren aus der Geschichte gezogen, nicht nur im Hinblick auf die Notwendigkeit einheitlichen Handelns der Arbeiterklasse mit nur einer Arbeiterpartei an der Spitze, der SED, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Ob man auf höherer Ebene wohl auch wußte, wie groß die Begeisterung fürs Militärische unter den jungen Männern inzwischen mehrheitlich war, insbesondere unter den Abiturienten?
Bald schon sollte Wilfried erfahren, daß zur Hebung dieser Begeisterung auch sehr fragwürdige Methoden zum Einsatz kämen.
Die ersten Stationen der Ausbildung waren Beobachten und Entfernungsschätzen unter Anleitung von Peter Münzthal. In Marschordnung verließ der dritte Zug der dritten Hundertschaft das Lager.
„Links, links, links zwo drei vier!“ kommandierte einer der Gruppenführer und wollte damit gar nicht wieder aufhören. Wilfried war einigermaßen erstaunt darüber, daß anscheinend die Kommandos auf der gesamten Strecke zu hören sein würden. Unterhaltung mit dem Nachbarn oder wenigstens das Genießen der schönen Mittelgebirgslandschaft des Thüringer Waldes - unmöglich.
„Rotten ausrichten!“ brüllte der Gruppenführer. „Ruhe im Glied!“
Wilfried begriff nicht, was das alles sollte. Man hätte doch auch ganz entspannt zur ersten Ausbildungsstation wandern können. Seine Abneigung gegen all dies hier verstärkte sich. Weder Kommandos empfangen, noch kommandieren, das hätte er gewollt.
Wie sich nur erwachsene Menschen gegenseitig das Leben schwermachen können!
„Ausrichten am Linksaußen!
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