Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition)
man damit marschieren muß,
was Euch bleibt sicher nicht erspart,
doch was nicht tötet, macht Euch hart!
-
Für heute sei es nun genug
vom zweiten Sanitäter - Zug.
Die Pia grüßt den Julius
und gibt ihm einen dicken Kuß!
-
„So ein saublöder Brief! Die haben doch überhaupt keine Ahnung, was hier abgeht.“
„Wie sollten sie auch?“
„Dann müssen wir ihnen es eben schreiben, am besten auch saublöd! Also:“
-
Hallo! Es ist ja wunderschön,
von Euch mal wieder was zu hör´n;
wir freu´n uns, daß es gut Euch geht,
doch uns geht ´s besser, Ihr gleich seht:
-
Am frühen Morgen um halb zehn
mögen geruh´n wir, aufzusteh´n;
der frische Kaffeeduft schon zieht
uns durch die Nase ins Gemüt!
-
Auch warme Semmeln harren unser,
am Frühstückstisch wir werden munter;
gebrat´ne Eierkuchen duften,
dieweil die Kellner um uns schuften.
-
Alsdann nach opulentem Frühstück
zur Muße wir uns ziehen zurück,
zu Lesen, Basteln, manchem Spaß,
und in der Sauna schwitzt man naß.
-
Um 17.00 Uhr ertönt der Gong,
bis viertel sechs ist Ausbildung.
Anschließend wir ins Kino geh´n,
um einen Actionfilm zu seh´n.
-
Auch ´nen Skandal es neulich gab:
Der Kellner kam nicht angetrabt,
als wir vor Durst nach ihm geschellt,
auch Sekt ward uns nicht hingestellt.
-
Unsre Beschwerde nahm entgegen
Oberkellner Scherer eben,
gelobte sogleich Besserung;
na, schau´n mer mal, und sei es drum!
-
An nichts uns mangelt es allhier -
nur etwas fehlt, und das seid Ihr!
Die Pia ich besonders grüße,
sie ist und bleibt ja meine Süße?!
Das Wiederseh´n bald kommen muß,
Gruß und Kuß, Dein Julius!
-
„Nur meine Schrift“ hatte Wilfried hinter seinen Namen geschrieben. Ein wenig Bedenken hatte er ja, Hundertschaftskommandeur Scherer als Oberkellner zu bezeichnen.
„Ist man noch frei, wenn man nichts wagt?“ hatte Udo Jürgens im Song „Was ist Zeit?“ gefragt. War Wilfried wenigstens noch in Gedanken frei? Hatte die Schere im Kopf bereits alle Kreativität zerschnippelt?
Wilfried mußte sich an einen Radio - DDR - Kommentar erinnern, in dem das alte Volkslied „Die Gedanken sind frei …“ zerpflückt wurde. In der BRD würde man derart intensiv Gesinnungsschnüffelei betreiben, daß niemand mehr zu eigenständigen politischen Meinungen fähig sei. Somit wären dort die Gedanken alles andere als frei. War das aber nicht genau die Zustandsbeschreibung in seinem Staat, den er so sehr lieben sollte, daß er ihn gegen jeden Feind schützen würde?
Jedenfalls sollte man von besagtem Lied besser Abstand halten - das war die eigentliche Lehre aus diesem Kommentar.
Noch näher war nur Shakespeares Hamlet der Frage gekommen, um deren Beantwortung Wilfried sich andauernd drückte, weil er sonst, allein der Logik folgend, zielsicher zur grundsätzlichen Ablehnung des Systems gelangt wäre, und das hätte er schwerlich durchhalten mögen, soviel war klar:
„Das ganze Land ist ein Gefängnis, und niemand kann seine Meinung sagen! Da ist was faul im Staate DDR!“
***
„Zum Sturm vorwärts!“
„Jawoll, Obersturmbahnführer!“ trompetete Vierer, bevor er unter den Drahtverhauen der Sturmbahn dahinrobbte, vielmehr glitt, wie es die Sprachregelung vorgab.
Tags darauf war er von der Bildfläche verschwunden. Gerüchten zufolge war er krank geworden und lag im Med. -Punkt des Lagers.
„Was ist mit Vierer?“ fragte Wilfried unschuldig einen seiner Mitschüler.
„Der Vierer ist gestorben!“
„Ja, er war schon ein netter Kerl,“ pflichtete ihm ein anderer Mitschüler mit Grabesmiene bei.
Erst beim Abmarsch aus dem Lager sah Wilfried ihn wieder, ziemlich blaß.
Anscheinend war Vierer tatsächlich krank gewesen.
***
„Eure Leistungen auf der Sturmbahn waren, mit einem Wort, saumäßig schlecht!“
Scherer schnaubte vor Wut, lief dabei vor der 3. Hundertschaft auf und ab.
„Wir haben jedes Jahr den Titel ,Beste Hundertschaft´ errungen, ihr seid die ersten, die das versauen.“
Wilfried glaubte zu spüren, wie man sich kollektiv vor den Altvorderen zu schämen begann.
„Hättet ihr am Abend nicht soviel Kraft im Schwanz, dann hättet ihr mehr Kraft auf der Sturmbahn!“
Nun begann sich Wilfried tatsächlich zu schämen - fremdzuschämen für Scherer.
Man war vom schulischen respektvollen Miteinander in den wenigen Tagen des GST - Lagers bereits mehrere Stufen hinabgestiegen, und ein Ende war nicht abzusehen. Schlimmer geht schließlich immer.
„Mehrmals habe ich
Weitere Kostenlose Bücher