Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition)
sagte ein Mitschüler zu Wilfried, als diese Nachricht unter den Wehrpflichtigen der 12. Klasse diskutiert wurde.
Wilfried hingegen gingen noch ganz andere Gedanken durch den Kopf.
Das sozialistische Weltsystem geriet anscheinend wieder einmal in Wanken, wie schon die Aufstände 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn und der Prager Frühling 1968 gezeigt hatten. Ein knappes Jahr zuvor, Ende 1979 hatte man von Seiten der afghanischen Regierung die Sowjetunion um „umfassende Hilfe, darunter auch militärischer“ gebeten, wie es in den Nachrichten der „Aktuellen Kamera“ offiziell hieß.
Die ZDF - „heute“- Nachrichten hingegen sprachen vom „Einmarsch“.
„Wenn die afghanische Regierung um die Hilfe selber gebeten hat, ist das doch kein Einmarsch?“ hatte Wilfried bewußt naiv den Vater gefragt, denn er spürte schon lange, daß eine einstmals sicher geglaubte Wahrheit nach der anderen sich im Nichts auflöste, wie Sand zwischen den Fingern zerrann, wenn man danach greifen, sie „begreifen“ wollte.
Sein „Dennoch auf der Seite des Sozialismus stehen, auf der Seite des Fortschrittes der Menschheit“ (welches Fortschrittes, des ökonomischen, des wissenschaftlich - technischen?) hatte sich zuletzt nur noch an den Glauben daran geklammert, daß bei einem weltweiten Sieg des Sozialismus die antagonistischen Gegensätze zwischen den Gesellschaftsordnungen aufgehoben wären, weshalb sozialistische Staaten keine Kriege mehr gegeneinander führen würden.
Da kein Kapitalist mehr da wäre, der an der Rüstung verdiente, was ja der eigentliche Grund für die derzeitige weltweite Misere der Hochrüstung war, würden danach endlich die Mittel frei werden, die den Wohlstand in ungeahnte Höhen höben.
Im März 1979 hatten chinesische Truppen Vietnam überfallen, bei Lang Son war es zur erbitterten Schlacht gekommen - und der Kommentar in den „heute“ - Nachrichten dazu lautete, dies sei bereits der fünfte (sic!) Krieg zwischen „marxistischen Staaten“.
Auch der letzte Pfeiler von Wilfrieds „wahrem Glauben“ an den Sozialismus als besserer und friedlicher Gesellschaftsordnung war in Wanken geraten, da half es auch nicht mehr, zu den in diesen Fällen üblichen dialektischen Gedankenverrenkungen Zuflucht zu nehmen, die dazu da waren, sogar aus „Schwarz“ „Weiß“ zu machen, oder China, weil abtrünnig vom Sozialismus sowjetischer Prägung (wie auch Jugoslawien), als nicht mehr zugehörig zum sozialistischen Weltsystem zu betrachten.
„Da brauche ich doch nur einen hinzuschicken, der dann ruft,“ hatte der Vater geantwortet. „Natürlich wird das immer so dargestellt, als wäre das dringend gewollt und man hätte sich in der sowjetischen Führung zuvor lange bitten lassen.“
Nun also die Wehrpflichtverlängerung in Polen.
Wie leicht konnte ihn das auch treffen, und noch schlimmer, wie leicht könnte ein Krieg ausbrechen.
„Noch nie hat es in der Geschichte Waffen gegeben, die nicht auch eingesetzt wurden,“ unkte der Vater ein um das andere Mal. Ob das auch für die Interkontinentalraketen mit atomaren Mehrfachsprengköpfen galt?
Immer mehr begann man nun von offizieller Seite, vom Frieden zu reden.
Nach dem NATO - Doppelbeschluß von Ende 1979 ließ der Generalsekretär des ZK der KPdSU, Konstantin Iwanowitsch Brashow ein um das andere Mal verlauten, es ginge nun darum, „die Erfolge der Entspannungspolitik der zu Ende gehenden 70er Jahre zu bewahren, dialektisch aufzuheben.“
Wie er das zu tun gedachte, hatte er ja kurz darauf mit dem Einmarsch in Afghanistan gezeigt.
Der neu ins Amt gewählte US - Präsident Charles Westwood forcierte sogleich die Hochrüstung der USA und ihrer verbündeten NATO - Staaten.
Die laut NATO - Doppelbeschluß zu stationierenden Mittelstreckenraketen, so munkelte man, sollten es den USA erlauben, sich aus einem auf Europa begrenzten Nuklearkrieg heraushalten zu können. „Sieg ist möglich!“ lautete die Devise. Eine Million tote Europäer wurden in den strategischen Planungen des Pentagon dafür als akzeptabel betrachtet.
Für den Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Ewald Hocker, ging es nun um das „Überleben der Menschheit“. Zum Gedenkmarsch zu Ehren der ermordeten Sozialisten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, der für die Ostberliner jedes Jahr am 15. Januar zum Defilee an der Gedenkstätte der Sozialisten für ihre Partei-und Staatsführung wurde und dem man sich als Berliner, ähnlich der
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