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Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition)

Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition)

Titel: Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffen Duck
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bewaffnetem Begleiter - wenn man in der Deutschen Reichsbahn ein solches Duo sah, wußte man einen armen Unglücklichen auf dem Wege in den Inneren Kreis der sozialistischen Hölle.
    Christine sei Dank aber hatte Wilfried sorgsam auf sich achtgegeben , eine innere, zuvor nie gekannte Stärke erlangt. Dank dem schützenden Kraftfeld der Liebe!

    Am Vortag der Entlassung sollte Wilfried endlich das letzte, banale Geheimnis der Armee erfahren: Weshalb fanden sich überhaupt Menschen dazu bereit, sich freiwillig und viel länger als nötig unterzuordnen, zu gehorchen, strammzustehen: Nichts anderes als die Faulheit trieb sie dazu.
    „Freiheit ist etwas wunderbares, macht aber viel Arbeit!“ Diese pragmatischen Worte des Komikers Karl Valentin, sie genügten als Erklärung für so manches auf den ersten Blick unerklärliche Verhalten.

    Man hatte die Entlassungskandidaten in den großen Saal des Clubhauses einrücken lassen.
    Der Referent, eine Wilfried unbekannte höhere Charge, versuchte sich in einer launigen Rede, der das Publikum artig lauschte.
    An Wilfried jedoch zogen die Worte vorbei, ohne daß er ihren Sinn verstanden hätte.
    Statt dessen erging er sich in Betrachtungen der Inschrift auf der Stoffbespannung hinter der Bühne: „Der Marxismus - Leninismus ist allmächtig, weil er wahr ist!“
    Den Urheber hatte man nicht aufgeführt, Wilfried wußte aber, daß dieser Spruch von Lenin stammte, natürlich ohne das Wort „Leninismus“.
    Wer gottlos aufzuwachsen gezwungen war, wem aber zugleich das selbständige Denken aberzogen wurde, der brauchte Orientierung, eine Ersatzreligion mit Absolutheitsanspruch. Darunter ließ es sich nicht machen …
    Wilfrieds Grübeleien endeten abrupt. Hatte nicht der Vortragende eben die Worte gesprochen: „Wenn Sie mal keine Lust mehr zum Arbeiten haben, kommen Sie doch wieder zu uns!“
    „Eher schufte ich mich zu Tode!“ überlegte Wilfried.

    Das Tagedrücken aber hatte und hatte nicht nachlassen wollen.
    Bis zur Entlassung blieb es Wilfried treu, ja, es schien sogar noch zuzunehmen, je näher der ersehnte 29.4.1983 rückte. Das Maßband der Gefährten war nur noch ein Schnipsel, wenn man es nicht schon der heidnisch - soldatischen Zeremonie gemäß im rituellen Feuer in der „Opferschale Aschenbecher“ hatte vergehen lassen. Der 18 - Monats - Gott wollte sein Opfer, bekäme er es nicht, würde er alsbald sein Haupt wieder erheben: „Einberufung zum Reservistendienst!“
    Wilfried aber besaß kein Maßband, er hielt nichts vom Zerschnippeln eines Metermaßes, welches der Großmutter einst beim Schneidern unentbehrlich gewesen war.
    Außerdem hatte er gelernt, daß die sozialistische Diktatur allgegenwärtig war, nirgends war man wirklich vor ihr sicher.
    Die Angst würde der ständige Begleiter des Untertanen bleiben, die kein Zauber je aufzulösen vermochte …

    Der Entlassungstag war gekommen.
    „Technische Kompanie, Nachtruhe beenden! Fertigmachen zum Frühsport! Raustreten in drei Minuten!“
    Die EK blieben liegen. Allein Wilfried streifte den ungeliebten Trainingsanzug über, den man ihnen gelassen hatte, band die schwarzen Schnürschuhe zu und begab sich mit den jüngeren Diensthalbjahren nach draußen. Bloß nicht noch am letzten Tag auffallen!
    Nach diesem letzten Frühsport konnte er nun endlich auch die arg ramponierten Sportschuhe entsorgen. Ein NVA - Geschenk, welches keines war. Auch die ungeliebte Sportkleidung wanderte in den Müll. Sie wäre selbst als Freizeitkleidung für ihn untragbar gewesen.
    Nur die schwarzen Schuhe behielt Wilfried; sie sahen sehr zivil aus und würden ihm zu manchem offiziellen Anlaß noch gute Dienste leisten. Außerdem konnte er schlecht barfuß die Kaserne verlassen. Mit Zivilkleidung hatte er sich bereits seit dem letzten Urlaub versehen, nicht jedoch mit Schuhen.

    Das Tagedrücken hatte an diesem letzten Tage dem Stundendrücken den Platz überlassen müssen. Die ersehnte Erleichterung aber blieb aus. Nicht ein Quentchen des fürchterlichen Alpdruckes war Wilfried genommen, eher war noch eine Trauer hinzugekommen, Trauer über achtzehn sinnlos verplemperte Monate Jugend.
    Und sinnlos mußte es weitergehen, sinnlos lagen sie jetzt in der Stube auf den Betten und warteten darauf, daß es 15.00 Uhr wurde.
    Endlich kam er, der Befehl zum Antreten!
    In Marschordnung wurden sie zum KdP kommandiert, man blieb Soldat bis zur letzten Sekunde. Alle hatten sie als Ersatzuniform ihr Entlassungstuch, ein vage an ein

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