Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition)
Palästinensertuch erinnerndes Stück Stoff um den Hals.
„Entlassung!“ brüllte Niebold.
Schäfer versuchte, einen Aluminiumlöffel im Ärmel zu verbergen.
„Löffel abgeben fällt aus!“ brüllte der Kompaniechef.
Wilfried verhielt sich lieber still.
Er hatte erlebt, wie Egon Blauw bei der letzten Entlassung einen allzu übermütigen Gefreiten am Entlassungstag mit Reinigungsarbeiten drangsalierte und erst lange nach den anderen gehen ließ. Zuvor hatte er ihm sogar Glauben gemacht, ihn bis Mitternacht festhalten zu wollen, derweil am Tor mit dem Moped die Ehefrau zwecks Abholung auf ihn wartete. Als ihn Egon Blauw schließlich doch gegen 18.00 Uhr verabschiedete, was wohl eher einem Hinauswurf gleichkam, war er so durcheinander, daß er seinen Wehrdienstausweis in der Schwarzkombi vergaß, daraufhin eine Stunde später zurückkommen und um Einlaß betteln mußte, um den Ausweis wiederzuerlangen.
Als sich die Schranke endlich hinter ihnen wieder senkte, nahm Wilfried als erstes das Tuch ab. Er wollte sofort wieder Zivilist, integriert in die Gesellschaft und nicht eine Sekunde länger als nötig mit einem der ihm so verhaßten Armeesymbole gebrandmarkt sein.
Es war vorbei! Nun wirklich! Merkwürdig nur, daß sich gar keine Erleichterung bei Wilfried einstellen wollte, nicht einmal jetzt - denn die Sehnsucht, immer wird sie größer sein als die Erfüllung! (In der Psychologie nannte man dieses Phänomen auch das "Entspannungssyndrom".)
Christine war gekommen. Sie drückten und herzten sich, als gäbe es kein Morgen. Soviel war sicher: Wenn auch die Welt verschwinden würde, so bliebe doch immer sie, seine Christine.
Im Herbst des Jahres 1983 konnte Wilfried endlich sein ersehntes Studium der Medizin an der Friedrich - Schiller - Universität Jena aufnehmen, ein Jahr später folgte Christine, die für ihn zuvor bereits die Arbeitsstelle nach Jena gewechselt hatte, um ihm nahe zu sein.
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So herrlich, wie am ersten Tag,
ganz gleich, was da auch kommen mag,
sollten die Wirtschaft kollabieren
und ganze Staaten implodieren;
wenn die Bevölk´rung lief davon,
in Umsturz und Revolution,
wenn sich die Welt ganz neu gestalte,
ganz anders würde, als die alte,
wenn uns am Ende gar nichts bliebe,
was immer standhält, ist die Liebe!
Drum höret unseren Entschluß
zur Hochzeit, denn was muß, das muß!
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Was in der Jugend Morgenröte,
im Mai des Lebens wuchs heran
und kurz danach in voller Blüte
auf bunter Sommerwiese stand;
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was dann im Herbst den Samen trägt,
im Winter bald zur Ruh´ sich legt,
wovon ihr wähnt, es wär´ vorbei,
zieht weiter Richtung Ewigkeit.
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How long will last a great new Love?
Forever, Darling, She will move!
Im Zyklus geht die Ewigkeit
und nimmt uns mit durch Raum und Zeit!
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“Play it again, Wil, play our song,
you never will be wrong!
Into Eternity we fly
as the world´s time goes by!”
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“Again and again I´ll play it, my C.,
can´t get enough of thee!
Always together we shall be,
we´ve got the paradise´s key!”
***
1988 mußte Wilfried noch einmal für fünf Wochen die NVA - Uniform anziehen - Militärmedizin in Seelingstädt war obligatorisch im Medizinstudium.
„Kann man nicht auch ohne Militärmedizin ein guter Arzt werden?“ stellte der Dozent im Hörsaal die rhetorische Frage, um sie gleich selbst zu beantworten: „Nun, sicher! Aber ohne die Note in Militärmedizin und den Lehrgang in Seelingstädt erhalten Sie Ihre Approbation nicht.“
Die Veranstaltung dort war also bereits zum bürokratischen Ritual mutiert, dessen Notwendigkeit mittlerweile von keinem ernstzunehmenden Hochschullehrer der Universität mehr vertreten wurde.
„Die Gesellschaft besteht aus Basis und Überbau. Zur Basis gehören die Produktivkräfte. Darüber wölbt sich der Überbau, der Staat mit seinen Institutionen, der die Produktionsverhältnisse bestimmt. Zu den staatlichen Institutionen gehören die Streitkräfte.“
Der Major malte über die Ziegelsteine, die die Basis symbolisieren sollten, die alles erstickende Käseglocke des Überbaues an die Tafel, kürzte dann „Streitkräfte“ mit „Str. Kr.“ ab und zeichnete einen Pfeil zu jenem die Käseglocke sprengendem Tabuwort, welches Wilfried in seiner gesamten Grundwehrdienstzeit nicht ein einziges Mal gehört hatte:
„Die Aufgabe der Streitkräfte ist es, Krieg zu führen!“
Kalt, hart, rüde im Tonfall hatte der Major den schäbigen Vorhang, „Sicherung des Friedens“ geheißen,
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