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Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition)

Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition)

Titel: Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffen Duck
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endete für Wilfried damit, daß er seinen „Seesack“ packte und im Mannschaftsblock drei Etagen tiefer zog, in die Technische Ingenieurbaukompanie, TIBK, während viele seiner Genossen zu den Baustellen im Lande kommandiert wurden.
    Aus Geheimhaltungsgründen hatten diese allesamt ganz unterschiedliche Nummern erhalten.
    In der Schreibstube an der Magnettafel wurden sie mit VH - Vorhaben abgekürzt.
    VH 700 war die erst kürzlich neben der Autobahn in der Nähe von Dresden eröffnete Baustelle Thiendorf, VH 88 das an der Fernverkehrsstraße 88 gelegene Raketendepot bei Jena. Das Raketensilo bei Blankenburg im Harz war schon fast fertig.
    Schumann, Gefreiter im 3. Diensthalbjahr, war Wilfrieds Vorgänger im Amte des Spießschreibers. In den verbleibenden viereinhalb Monaten seiner Dienstzeit würde er Wilfried einweisen und ihm all das beibringen, was er wissen mußte, um den Hauptfeldwebel, Oberfähnrich Mahlmann zufriedenzustellen.

    „Du fängst also mit der Essensstärke an. Das ist das Räudigste.“
    Schumann schlug das Buch mit den Strichen und Wellenlinien auf, die fein säuberlich Kästchen für Kästchen hintereinander angeordnet waren. Keine Schreibübung von Erstklässlern hätte vollkommener sein können.
    „Offiziere und Zehnender sind immer auf ,S´ gesetzt, sie erhalten 4,50 M am Tag Verpflegungsgeld und kaufen sich das Essen im Offiziersspeisesaal selbst. Soldaten und Uffze werden nur im Urlaub auf ,S´ gesetzt, ansonsten erhalten sie einen Strich für die Mannschaftsverpflegung. Du darfst sie aber nur in die Stärkemeldung aufnehmen, wenn sie eine Vergleichsmitteilung beibringen, das heißt, wenn sie anderswo ausgetragen sind.
    Wenn sie auf die Baustellen kommandiert werden, mußt du ihnen eine ausstellen. Vergißt du das, laufen sie hier in der Essensstärke weiter und die Baustellenküche stellt uns das Geld für deren Verpflegung dort in Rechnung - das bedeutet Regreß!
    Mit den Vergleichsmitteilungen gibt es immer Ärger, denn die Genossen kommen oft abends spät rein, wenn die Essensstärke schon fertig ist. Dann fängst du noch mal an.
    Es ist wahrscheinlich nirgends in der NVA komplizierter damit als hier. Bei den Mot. - Schützen ist das alles easy.“
    Wilfried hatte nichts kapiert. Er ließ es sich noch einmal erklären und Schubert wurde ungeduldig.
    „Abitur, aber zum Scheißen zu blöd!“
    Wilfried beschloß, besser nicht mehr zu fragen.
    „Dann machst du die tägliche Gefechtsstärkemeldung fertig. Urlauber und Ausgänger dürfen nie weniger als 75% der Iststärke ausmachen. Das ganze ist aber eh nur für die Ablage, die meisten sind ja auf den Baustellen draußen.
    Wenn du mit beidem fertig bist, bringst du es zum Stab rüber zu Uffz. Schneider, die nimmt es entgegen, bis 9.00 Uhr mußt du drüben gewesen sein.“
    Uffz. Schneider, so hieß also die Frau in Uniform, mit der Wilfried am Einberufungstag Bekanntschaft gemacht hatte.

    Oberfähnrich Mahlmann wurde nicht umsonst „Seiersack“ genannt. Seine Sätze trug er stets mit weinerlichem Unterton vor. Was Wilfried aber ungleich mehr störte - der Spieß war nicht einmal der deutschen Grammatik mächtig: „Ich rate Sie, nicht mehr ohne den Unifommantel auszugehen!“
    Wilfried mußte alle Beherrschung aufwenden, nicht die Augen zu verdrehen.
    Als er ihn beobachtete, wie er die Petschaft anleckte, einen Aluminiumstempel mit persönlicher Nummer, meistens am Schlüsselbund getragen, um sie in die Knete des Siegels an der Waffenkammer zu drücken, erfaßte Wilfried das Grausen. Ob die Knete wohl desinfizierende Wirkung besaß?

    Manchmal kam es vor, daß der Spieß zum Plaudern aufgelegt war. Wilfried mußte sich dann seine Geschichten von früher anhören, wie er an der Grenze Dienst getan hatte. Selbstredend waren er und seine Genossen damals aus ganz anderem Holz geschnitzt gewesen.
    Damals, da herrschten noch Disziplin und Ordnung bei der Truppe:
    „Unsere Ausrüstung hielten wir immer tadellos in Schuß, da unser Leben davon abhing.
    Selbst unsere Urlaubsschuhe hatten wir in Zeitungspapier eingeschlagen. Ein Stäubchen, und wir wären am KdP nicht durchgelassen worden. Wenn ich dagegen sehe, in welchem Zustand heute Soldat und Ausrüstung sind, wenn sie von den Baustellen reinkommen …“

    Das Puzzle der diversen Informationen vom Spieß ergab, daß er sich zunächst als Berufsunteroffizier für zehn Jahre Dienstzeit verpflichtet hatte, die er an der innerdeutschen Grenze zubrachte; als diese dem Ende entgegengingen,

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