Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition)
anderen.
Kieser schnappte sich die Trillerpfeife:
„Technische Kompanie, Gefechtsalarm!“
Die Genossen auf dem Flur wußten jetzt, woran sie waren. In den Stuben ging das Licht an, man warf sich in die Uniformen, schulterte das Sturmgepäck, wartete auf den Befehl zum Empfang der Waffen und Fahrtenbücher.
„Instandsetzungskompanie, Gefechtsalarm!“ hörten sie nun auch den UvD der IKp. eine Etage tiefer.
„Los, rufe den OvD zurück!“ brüllte Kieser Wilfried durch das immer noch anhaltende Jaulen der Sirene zu.
Wilfried suchte verzweifelt die Nummer auf dem Schreibtisch. Sonst stand sie doch immer an der rechten oberen Ecke der Schreibunterlage? Kieser schob die Klarsichtfolie mit dem Alarmplan beiseite. Wilfried griff nach dem Hörer und wählte die dreistellige Nummer: 200. Besetzt!
„Sag´ ihm, er soll endlich die verdammte Sirene abstellen!“
Wilfried versuchte es wieder, immer und immer wieder: besetzt.
„Ich laufe schnell rüber!“
Noch ehe Kieser antworten konnte, war Wilfried die Treppe hinabgesprungen, so, wie er es zu Hause manchmal getan hatte zur „Freude“ der anderen Mieter.
Jetzt, da sie frei war, entkam er schnellstmöglich dem unerträglichen Sirenenton.
Draußen ließ er sich etwas mehr Zeit, tief sog er die frische Luft der kalten Märznacht ein.
Im Stab herrschte bereits ein vollkommenes Durcheinander. Wilfried versuchte, sein Anliegen irgendeinem Offizier vorzutragen, der ihn in keiner Weise zur Kenntnis nahm.
Schwörer, der OvD stand in dieser Nacht, war anscheinend unauffindbar.
Dann traf Wilfried den Stabs-Uffz. aus der Geschäftsstelle.
„Ich wollte nur den OvD zurückrufen,“ stotterte Wilfried.
Der Stabs - Uffz. ein „Dreiender“ mit Abitur, wie Wilfried wußte, nahm ihn beiseite:
„Die sind hier völlig kopflos, wie Du siehst. Es ist Krieg!
Die Russen haben mit Panzern und Artillerie bei Marienborn, kurz danach bei Hirschberg und anderen Grenzabschnitten die Staatsgrenze zur BRD überschritten und befinden sich auf dem Vormarsch in die großen Ballungszentren, Ruhrgebiet, Hamburg, Bremen, Hannover, München, Stuttgart und so weiter. Die haben die Bundeswehr und auch die Amis völlig überrumpelt, am Sonntag sind die ja alle zu Hause. Hab ´s vorhin heimlich im Deutschlandfunk gehört.
Du sorgst jetzt bei euch drüben als erstes für Dunkelheit, Ihr wollt ja kein Ziel für die NATO - Luftwaffe abgeben. Die Einschränkungen für Gefechtsalarm sind alle aufgehoben.
Dann holt ihr euch die Waffen und bildet das Marschband der Fahrzeuge.
Danach müßt Ihr auf weitere Anweisungen warten.“
„Und wie soll ich das mit den Resis machen und mit den Kommandierten?“
„Mach´ dir ´n Kopf, du bist Baupionier!“
„Hör´ mal, wieso haben die Russen angegriffen?“ wollte Wilfried noch wissen.
Doch der Stabs - Uffz. war bereits außer Hörweite.
„Konnte das wirklich wahr sein?“ überlegte Wilfried. „Bestimmt hat der Feindsender die Wahrheit verdreht, in Wirklichkeit haben die uns angegriffen und die Russen haben es rechtzeitig gemerkt und schlagen gemäß der Militärdoktrin des Warschauer Vertrages nur zurück.“
Wilfried beschloß, die Nachrichten von Radio DDR einzuschalten, möglichst auch noch den Fernseher im Klubraum.
Auf einmal aber war er unendlich müde. Am liebsten hätte er sich auf den Boden gesetzt, so schwach und antriebslos fühlte er sich jetzt.
Schlurfend schlich er den Betonweg entlang. Gleich würde er die Haustür des Plattenbaues erreicht haben.
Konnte er noch einen Moment hier draußen verweilen, im Frührot des kalten Märzmorgens, der ein Sonntag war?
Eine letzte Minute?
Was, wenn der Ami nuklear zurückschlüge? Jetzt gleich, in der nächsten halben Stunde?
Sollte er fliehen? Nur wohin? Und wenn man ihn in der jetzigen Situation erwischte, hieße das sehr wahrscheinlich standrechtliches Erschießen! Heinrich Böll hatte gut schreiben mit seiner „Entfernung von der Truppe“ .
Wilfried hatte den Hauseingang erreicht und stolperte die Treppe hoch.
„Wo bleibst du denn?“ empfing ihn Kieser.
„Licht aus, Einschränkungen sind aufgehoben, es ist Krieg!“ flüsterte Wilfried tonlos. Wenigstens der Sirenenalarm war abgestellt worden.
Kieser riß ungläubig die Augen auf.
„Hast du das aus dem Stab?“
„Ja.“
„Von wem?“
„Irgendein Buckel, den ich nicht kenne.“
Kieser gab einen Pfiff ab.
„Technische Kompanie, sofort Licht aus! Kriegsausbruch!“
„Erzähl´ keinen Scheiß,“ sagte der
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