Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition)
auf.
Das kalte Buffet mit dem großen Berg an Gehacktem, den frischen Brötchen, den Äpfeln und der Schokolade zog begehrliche Blicke auf sich.
Egon Blauw ergriff ein Glas und klopfte mit dem Löffel daran:
„Ich möchte in ganz besonderer Weise auch unserem Hauptfeldwebel danken. In schwieriger Versorgungslage hat er uns Fleisch, Brötchen, Obst und Leckereien beschafft - außerhalb der Zuteilung. Ein Hoch auf unseren Hauptfeldwebel! Möge er, wie von ihm gewünscht, seine dreißig Dienstjahre bei der NVA vollenden!
Das Buffet ist eröffnet!“
Der Applaus ging in die Schlacht am Buffet über. Gierig fiel man darüber her. Gefräßige Stille trat ein. Mahlmann hätte zufriedener nicht sein können.
Unerwarteterweise wurde trotz Feiertag für den Nachmittag Waffenreinigen angesetzt.
Hätte man dies früher als Affront gegenüber den Mannschaften empfunden, der zumindest einige bissige Bemerkungen über den Geisteszustand der Kompanieführung zur Folge gehabt hätte, ging man nun ohne Murren an die Arbeit. „Es wird schon seinen Zweck haben,“ pflanzte es sich raunend durch den Flur fort.
Der UvD, Unteroffizier Triebel, der seinen katholischen Glauben offen und furchtlos praktizierte, was bei Wilfried in mehrfacher Hinsicht Verwunderung hervorrief-einerseits, ob er sich denn vor den Schikanen Mahlmanns nicht fürchtete, andererseits, weshalb er denn überhaupt länger als 18 Monate diente, versuchte einen letzten Akt des Widerstandes gegen den bereits blindwütenden Korpsgeist in der TIBK, der so ziemlich jeden Genossen einschließlich Wilfried erfaßt hatte:
Er öffnete die Tür zum Clubraum und legte die LP mit Songs von Udo Lindenberg auf, die einzige AMIGA - Schallplatte, die in der DDR von ihm herausgebracht worden war und daher auch bei der Armee nicht verboten werden konnte.
„… sie laden die Gewehre, und bringen sich gegenseitig um …“ tönte es den Flur entlang, auf dem man derweil eifrig die Schmauchspuren vom letzten Schießen, „Pulverschleim“, wie Mahlmann es nannte, von den Waffen herunterpolierte, deren Läufe man nachzog, bis sie inwendig glänzten, deren Schlösser man ölte, bis sie kräftig zuschnappten wie eine Wolfsfalle, deren Seitengewehre (Bajonette) man bis zur Rasierklingenschärfe wetzte.
Niemand scherte sich um Udo Lindenberg. Nicht einmal sein größter Fan in der TIBK, Uffz. Kieser, der nach eigener Aussage immer drei Tage Urlaub aufgespart hatte, um eines seiner Konzerte besuchen zu können, welche, sehnsüchtig von ihm erhofft, eines Tages ganz bestimmt in der DDR stattfinden würden.
Triebel wollte indes noch nicht aufgeben, startete einen allerletzten Versuch:
„… ja auch dich haben sie schon genau so belogen, wie sie es mit uns heute immer noch tun …“
Wilfried stutzte einen Moment: Wen hatte Hannes Wader mit seiner Ballade ansprechen wollen? Nur den Bundeswehrsoldaten?
„ Triebel, mit Ihrem Wader - Vortrag hatten Sie Ihre Chance gehabt. Da müssen Sie ihn jetzt nicht beim Waffenreinigen fortsetzen, wenn Ihnen niemand entkommen kann!“
Egon Blauws Tonlage war uneindeutig. Wilfried entschied sich für väterlich - versöhnlich, während er den Lauf seiner AK - 62 durchzog.
„Als ob man zu seinem Vortrag vor einigen Wochen im Klubraum der Kompanie die Wahl gehabt hätte, daran nicht teilzunehmen!“ überlegte er kurz darauf.
Triebel hob den Tonabnehmer an, die Musik verstummte.
Als UvD war er nicht zum Waffenreinigen verpflichtet, daher langte er jetzt wortlos nach seiner Kerze und dem Schnitzmesser .
„Wie können Sie es wagen …!“ brüllte Blauw.
Triebel zuckte zusammen wie nach einer Ohrfeige.
„ Dorte …,“ Blauw schnappte nach Luft, „ dorte ist die Arrestzelle, dorte am KdP! Wenn nicht …“
Blauw war schlagartig verstummt, was Wilfried und die anderen einen Moment stutzen ließ.
„Weitermachen!“ Blauw klang nun wieder versöhnlich.
Die Waffen wurden gereinigt.
Wilfried begriff, was es heißen konnte, die andere Backe auch noch hinzuhalten. Gern wäre er zu Triebel geeilt, um ihm einige tröstende Worte zu sagen, ihn zu ermuntern, die Schnitzarbeit nach Dienstschluß fortzuführen. Doch es war nicht mehr die Zeit für eigensinnigen Individualismus.
Triebels Friedensengel auf der Kerze blieb unvollendet.
Am späten Abend machte die Nachricht im Regiment die Runde, ein Genosse sei am KdP verhaftet worden, der sich unerlaubt entfernt hatte - er hätte versucht, seine Freundin zurückzugewinnen. Als Wilfried hörte,
Weitere Kostenlose Bücher