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Variationen zu Emily

Variationen zu Emily

Titel: Variationen zu Emily Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Saarmann
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Katastrophe damals ja miterlebt. Na egal. Andrea, nochmal dasselbe. Jedenfalls eine Situation zum Fürchten. Dabei will ich doch nur in Ruhe mein Bier trinken. Kanntest du eigentlich Angela? Eine große Schlanke. Fiel schon in der Schule auf, weil sie immer etwas zu sagen hatte. Bekam grundsätzlich gute Noten im Mündlichen. Sonst allerdings auch. War sehr strebsam. Und ist es meines Wissens geblieben.
    Ist jetzt Staatssekretärin oder etwas ähnlich Bedeutsames. Man sieht sie manchmal im Fernseher, wenn sie diese Ich-weiß-natürlich-alles-will-aber-nichts-sagen-Sätze von sich gibt. Sie studierte Betriebswirtschaft, als ich sie richtig kennenlernte. Wie gesagt: Groß, schlank, kurze Haare. Schön geschnittene Augen, schön e Brüste, die auffielen. Musst du kennen. Nicht unbedingt mein Typ, aber doch ganz attraktiv. Wie eine Hirschkuh, die einem zwar gefällt, aber eigentlich ein wenig zu groß ist.
    Du weißt ja, ich habe auch mal studiert, Germanistik und Verwandtes. Ich saß also am späten Vormittag in der Unikneipe und trank mit einem Bekannten vom Regionalradio, der auch zufällig nichts zu tun hatte, ein paar Gläser Retsina, weil ich keine Lust auf die Vorlesung bei einem ehemaligen Innenminister hatte. Ging um so wichtige Dinge wie Verantwortung der Vierten Gewalt gegenüber der Gesellschaft. Oder ein ähnlicher Schwachsinn. Ich war gerade auf einem Lesetrip und wollte mir von der beschissenen Gesellschaft nicht zwischen die Buchseiten kotzen lassen. Was war es nur? Zauberberg oder Joseph. Thomas Mann jedenfalls. Hatte damals gerade eine Mann-Phase.
    Wir wurden immer besoffener von dem billigen griechischen Wein, warfen uns unsere Stichworte zu, und ich fühlte mich im Himmel. Wir diskutierten die Frage, ob ein ernstzunehmender moderner Schriftsteller es sich noch leisten kann, ausgerechnet eine Bibelgeschichte zum Thema eines Romans zu machen. Also doch Joseph. Der Typ vom Radio – ja, Volker hieß er – konterte gerade mit dem Lied von Bernadette. Werfel, du weißt. Da kam sie herein. Sie setzte sich an den Tisch neben uns, zog aus ihrer Jutetasche ein Hundert-Seiten-Pamphlet und begann eifrig zu lesen.
    Ich erkannte sie, aber was zunächst meine Augen fesselte, war die Aufschrift auf dem grobfasrigen Ding, das an ihrer Stuhllehne schaukelte: Ein Fisch ohne Fahrrad ist wie ein Mann ohne Schuppen. Oder so ähnlich. Ganz verstand ich es nicht. Aber damals gab es ja noch ganz andere Sprüche, und nicht alle waren wirklich schlau.
    Als Costa kam, um die Bestellung aufzunehmen, schaute sie kaum auf, murmelte nur etwas, was ich nicht verstehen konnte, und vertiefte sich wieder in den Text. Wahrscheinlich eine Doktorarbeit über die Verantwortung der Betriebswirte gegenüber der Gesellschaft. Was solls. Wir vertieften uns wieder in unser Gespräch, dessen Lautstärke zunehmend vom Wein befeuert wurde. Der Wirt kam mit einem Glas Wasser.
    Ich habe etwas gegen Leute, die Wasser trinken. Ich finde, das hat etwas Barbarisches. Seit Jahrhunderten geben sich die Menschen Mühe, diesem faden Zeug zu einem Geschmack zu verhelfen, reiben sich auf, vererben Techniken, veredeln Pflanzen und trinken sich zu Tode, nur damit ihre Nachkommen ihren Durst nicht mit dem einfältigen Zeug löschen müssen. Und was tun die modernen Menschen? Sie bezahlen viel Geld für ein paar Schluck von dem simplen Naß, das in jeder Pfütze in ähnlicher Qualität zu haben ist. Und fühlen sich dann noch erhaben über uns armselige Wein-, Bier- und Kaffeetrinker, weil sie das gleiche zu sich nehmen wie die Neandertaler. Na, prost.
    Ich zündete mir eine weitere Zigarette an, deren Rauch wohl in ihrer Nähe vorbeigeschwebt sein muss. Sie schaute auf, schnupperte missbilligend und fragte mit ihrer leicht belegten Stimme: Muss das sein? Ich erwiderte ihren Blick, grinste sie an und sagte: Hey, wenn das nicht die Angela ist! Na, du Streber, wie wärs mit einem Retsina? Ich lade dich ein. Ihre Miene war wie zwanzig Kubikmeter Permafrost. Sie antwortete nicht, blickte einfach wieder in ihr Papier und ignorierte uns. Besoffene Raucher waren auf ihrer Werteskala vermutlich knapp über den Koprophagen eingeordnet. Der Radiomann und ich warfen uns einen amüsierten Blick zu. Volker ist übrigens jetzt in Mannheim.
    Aber der Faden war gerissen. Wir plauderten noch ein wenig über die in unserem Städtchen angebotene Kultur, verrissen diesen Film und jenes Konzert. Lobten irgendeine unsägliche Performance, die mir heute Pickel aus der Haut treiben

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