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Variationen zu Emily

Variationen zu Emily

Titel: Variationen zu Emily Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Saarmann
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Mist, den viele Firmen unter der Rubrik Öffentlichkeitsarbeit glauben verbreiten zu müssen. Dann kam der Umweltteil, in dem von der unbezweifelbar vorhandenen Notwendigkeit die Rede war, alle verfügbaren Ressourcen zu schonen und zugleich das globale Wirtschaftswachstum zu stützen. Der Mann war nicht dumm, sehr beredt und gut vorbereitet. Wäre Tom nicht so müde gewesen, hätte er die Eloquenz dieses vielleicht dreißigjährigen Öffentlichkeitsarbeiters bewundert, der seinen Arbeitgeber so loyal und gekonnt von Weihrauchwolken umschweben ließ.
    Seiner Visitenkarte nach war er promovierter Diplom-Sozialkaufmann, und Tom fragte sich mit einem Aufflackern von Interesse, was ein Mens ch mit einem derartigen Abschluss zu verkaufen hatte: Soziales oder Diplomsoziales? Und worin bestand das wohl? Er jedenfalls sah einen kritiklosen, vollbärtigen Mitarbeiter vor sich, der seine Firma mit Gewalt und Geschick in ein schon ungut strahlendes Licht zu rücken suchte. Die ausufernde Präsentation erfüllte alle negativen Erwartungen. Folie folgte auf Folie, und der Diplom-Sozialkaufmann las mit erstaunlicher Verve jeden Punkt darauf vor.
    Tom begann, sich unter dem Tisch in die Beine zu kneifen, um nicht unwürdig in den ersehnten, traumreichen Schlaf zu sinken und damit seine in der Region vielgelesene Wochenzeitung bei einem einflussreichen Kunden zu desavouieren. Dieser unvernünftig muntere Kerl ging mit Sicherheit um sieben Uhr abends zusammen mit seinen minderjährigen Kindern schlafen. Vielleicht lief er auch vor Arbeitsbeginn im makellosen Trainingsdress ein paar Runden durch den Park, wie es angeblich die besonders erfolgreichen amerikanischen Manager zu tun pflegen. Mit ihm selbst war in der Regel vor neun Uhr morgens nichts anzufangen, und dieses war offenbar auch nicht der aufregende Ort, der ihn aus seiner Schläfrigkeit herausgeprügelt hätte.
    Es ging um moderne westliche Werte und um die Methode, die sogenannten Kollateralfolgen des damit zwangsläufig einhergehenden intensiven Verbrauchsprozesses auf ein Minimum zu beschränken. Trotz des Kne ifens, des Kaffees und der bewusst zugelassenen, ziehenden Sehnsucht nach Martha verlor er langsam den Faden. Also ging er aus Selbstschutz in einer kurzen Redepause zum Angriff über. Das wäre ja alles hochinteressant, aber nun würde er sich gerne ein eigenes Bild von der bekanntermaßen auf höchstem technischen Niveau durchgeführten Selektion von werten und unwerten Stoffen machen.
    Da wurde der PR-Mann auffallend ne rvös. Er entschuldigte sich, dass er allein das nicht entscheiden könne, führte ein durch mehrere Instanzen geleitetes Telefongespräch und bewies damit, dass niemand damit gerechnet hatte, dass sich ein Redakteur tatsächlich über die Zukunftsträchtigkeit regionalen Abfalls informieren wollte. Am Vorstandstisch war wohl ein unterwürfig durchgeführtes Interview geplant worden, dessen Resultat ein langer, lobhudelnder Artikel zu sein hatte. In Journalistenkreisen nannte man so etwas Hofberichterstattung, für die man manchmal recht nett mit einem Gutschein für ein Essen zu zweit im besten Restaurant am Ort, manchmal aber auch fürstlich mit einer unentgeltlichen, dreijährigen Testfahrt mit einer Limousine meistens ausländischen Fabrikats honoriert wurde. Jedenfalls gingen in der Redaktion ähnlichlautende Gerüchte um.
    Nachdem offenbar ein ganz großes Tier seinen Segen gegeben hatte, begaben sie sich auf den langen Weg hinunter in die Gefilde, die Produktion genannt wurden. Ein Fahrstuhl, hell ausgeleuchtete Gänge, wieder ein Fahrstuhl, ein Gang mit schwitzenden Rohren, in dem es muffig nach Keller roch, schließlich eine Schleuse, die sie nur nacheinander passieren konnten. Hinter einer letzten, elektronisch gesicherten Stahltür lag dann der Orkus, die Unterwelt des Abendlandes vor ihnen: eine große, unterirdische Halle, die sich von ihrem Standpunkt aus nach Toms Schätzung mehrere hundert Meter in alle Richtungen und mindestens zwanzig Meter in die Höhe dehnte. Es fiel schwer, in dem stinkenden Dunst die gegenüberliegende Wand zu erkennen.
    Scheinbar planlos durchzogen metastasierende Fließbandtrassen den gewaltigen Raum, die mit einem unirdischen Grollen und Zischen Abfälle jeder Kategorie transportierten. Eine ameisenhafte Betriebsamkeit umgab sie, überwacht wohl und gesteuert aus hell beleuchteten, glitzernden Kuppeln, die wie gigantische Raumschiffe im Zwielicht der Höhlendecke schwebten und in denen vereinzelt Menschen

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