Variationen zu Emily
Genau. Vielen Dank. Darf ich mal eine von deinen nehmen? Meine sind alle.
Na ja, ich versteckte die beiden Schlüssel unter dem dicken Läufer im Wohnzimmer. Dann legte ich mich auf das Sofa, deckte mich mit einer Tischdecke zu und schlief sofort ein. Mein Alibi sollte lauten: Beim Lesen eingeschlafen. Ich brauchte es nicht. Als ich erwachte, war sie bereits gegangen. Und die Schlüssel lagen beide unter dem Teppich. Sie war mir jetzt nicht nur unangenehm und unsympathisch, sondern auch noch unheimlich geworden. Ich wollte absolut nichts von ihr wissen. Daher ging ich nicht mehr in die Uni, sondern bestellte mir die notwendige Lektüre nach Hause. Das ging damals noch, wenn man die richtigen Leute kannte. Ich war krank und wollte mich auf die Prüfungen vorbereiten. Das Studentensekretariat war voller Mitleid und lieferte, was ich benötigte. So konnte ich tatsächlich arbeiten. Bis sie wieder auftauchte.
Es war später Abend, ich hatte gegessen und trank gerade mein zweites Bier, als sie hereinspazierte. Nackt, gelassen, ein Glitzern in den Augen. Ich starrte sie mit offenem Mund an. Ohne ein Lächeln sagte sie: Den unter dem Teppich brauchte ich nicht. Ich habe mir einen nachmachen lassen. Vielleicht ist das ja unsere letzte Nacht, mein Dickerchen. Komm jetzt. Ich weiß nicht, wie du dazu stehst. Aber ich konnte diese Frau einfach nicht schlagen und aus dem Haus treiben. Nackte Frauen scheinen so wehrlos zu sein. Und so erotisch, wenn sie wollen. Auch wenn sie nicht wirklich schön sind, sondern nur ihre natürlichen Waffen einsetzen. Sie wollte. Und es gelang ihr wieder, mich abzuführen. Aber als das Orchester geendet hatte und sie sich über den Bauch strich, setzte ich mich auf und kreischte: Raus! Raus aus meiner Wohnung!
Ich konnte mich nicht beherrschen. Immer noch wie ein ängstlicher Kastrat schreiend, sprang ich aus dem Bett und fasste nach dem vorgeblich antiken Kerzenständer, der allerdings nur das Auge betrügt. Nicht jedoch die Hand, die das Ding über das geringe Gewicht sofort als fernöstliches Produkt für westliche Flohmärkte identifiziert. Diese Waffe schwingend, die sich bei einer Kollision mit ihr sofort zu einer verknautschten Ansammlung unedler Bleche verwandelt hätte, versuchte ich sie aus meinem Leben zu vertreiben. Sie war ruhig wie immer. Sie nickte, als fände sie bestätigt, was sie immer gedacht hatte. Nämlich, dass wir Männer ziemlich ungemütliche, in jedem Fall aber lächerliche Geschöpfe von geringem Wert sind. Und, was mein Auftreten in dieser Nacht angeht, hatte sie nicht unrecht.
Dann war sie verschwunden. Und mit ihr alles, was an sie erinnerte. Nur auf dem Garderobentischchen lag ein glänzender, neuer Schlüssel. Sie ist nie wiedergekommen. Aber lange habe ich noch Angst davor gehabt. Erst als ich hörte, dass sie nach Bonn gegangen ist, konnte ich meine Wohnung wieder genießen. Mann, warum sagst du denn nichts? Es ist fast zwei. Schnell, lass uns zahlen. Sonst komme ich morgen nicht raus.
25. MÜLL
Er war dazu übergegangen, seine Konfektionshemden nachträglich in Maßhemden u mwandeln zu lassen. Der Beschluss der Industrie, zur Optimierung der Produktionsprozesse die Menschheit in möglichst wenige bekleidungsrelevante Kategorien zu untergliedern und zugleich den Unisex-Look zu fördern, stieß spätestens seit einem Sockenkauf auf seinen Widerstand. An dem Ständer im Kaufhaus, den er suchend rotieren ließ, fanden sich die verschiedensten Muster und Materialien. Natürlich waren viel angeblich pflegeleichte Kunststoffe und unsägliche bis infantile Dessins darunter. Diese Kümmernis war er mittlerweile gewohnt. Doch als er schließlich ein vielversprechendes, aus Naturfasern zusammengewirktes Paar entdeckt hatte und es genauer musterte, musste er zur Kenntnis nehmen, dass es für Füße von Schuhgröße vierzig bis sechsundvierzig geeignet sein sollte.
Er kannte den Unterschied. Seine Füße waren mit Größe einundvierzig für einen Mann eher klein. Sein Freund Theiresias dagegen trug immer sechsundvierziger Stiefel, und die waren geeignet, einen Ausbruch des Ätna zu stoppen, wenn er mal wieder mit seinem feurigen Unsinn begann. Er hatte die Socken trotzdem gekauft im naiven Glauben, die Hersteller verfügten über Wundermittel oder nur noch in Guadaloupe bekannte Voodootechniken, die Strümpfe in beliebig anpassungsfähige Kleidungsstücke verwandelten. Zu Hause all erdings stellte sich heraus, dass sie für einen veritablen Yeti
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