Variationen zu Emily
Weil mein Chef mir heute die Kündigung angedroht hat. Sagt, ich schreibe seit Wochen nur Scheiß. Hat allerdings nicht ganz unrecht, wenn ich es aus der global-ökonomischen Perspektive betrachte. Jedenfalls habe ich noch eine letzte Chance, und die versuche ich zu nutzen. Darum bin ich so spät. Muss einen Artikel umschreiben. Die Leser sollen das Gefühl haben, dass alles gar nicht so schlimm ist, wie es scheint. Und dass alles weniger Gute problemlos zu bessern ist. Ich bin noch nicht ganz fertig, aber morgen habe ich einen Heimarbeitstag.
Wer? Elena? Welche Elena? Ach, die Stämmige mit dem dunkelgrünen Käfer. Was willst du von ihr? Deine Traumfrau? Ist das dein Ernst? Na ja, was solls. Ja, bin im Bilde. Sie war in Braunschweig verheiratet mit einem Offiziersanwärter, den wohl der Vater ins Haus geschleppt hat. Der ist nämlich General bei der Bundeswehr. Mittlerweile ist sie geschieden. Hat ein Kind. Lebt anscheinend immer noch dort oben. Das wars. Woher? Ach, über die Zeitung. Wir haben mal ein Portrait ihres Vaters veröffentlicht, der ja inzwischen in der Nato ein hohes Tier ist. Nach dem Motto: Prom inente aus unserer Stadt. Da mussten wir ein wenig recherchieren. Und weil weder Nato noch Bundeswehr besonders auskunftsfreudig waren, haben wir uns an die Verwandten gehalten. Was? Na, im Telefonbuch kannst du auch selber nachschlagen, oder? Hat ihren Familiennamen wieder angenommen. Also ruf sie einfach an. Hallo, hier ist Theiresias. Weißt du noch, vor fünfzehn Jahren an einem regnerischen Abend? Klingt vielversprechend, oder? Wird sicherlich eine lange, glückliche Liebesgeschichte.
Entschuldige, ich mache mich über deine Gefü hle lustig. Das liegt daran, dass ich momentan selbst ziemlich verzweifelt bin. Das Leben könnte so einfach sein, aber mir wächst es gerade über den Kopf. Was machen eigentlich die anderen? Immer, wenn ich komme, treffe ich nur dich. Scheiße, heute habe ich ein Talent für Fettnäpfchen. Vergiss die anderen, Theiresias. Ich weiß schon, jeden zwanzigsten Donnerstag oder so. Mann, wie viel hast du getrunken? So sentimental habe ich dich schon lange nicht mehr erlebt. Lass das, Mann, das steckt an. Ich muss dann immer an Carla denken. Eine traurige Geschichte.
Wie du weißt, stehe ich ja auf mädchenhafte Frauen. Vor ein paar Jahren hatte ich die Idee, mal zu schauen, was aus den formidablen Tanzkünsten meiner Jugendzeit geworden ist. Du warst ja damals auch in der Tanzschule dabei. Wie alt waren wir damals? Vierzehn, fünfzehn, genau. Um es vorwegzunehmen: Ich kann nicht mehr tanzen. Habe alles verloren. Steif wie ein eingefrorenes Mammut und genauso anmutig. Macht nichts. Ich lernte in diesem Kurs für Singles ein paar Frauen kennen, die mir in ein paar Jahren im Krankenhaus den Urin abzapfen und die Spritzen setzen werden. Und seufzen: Ach ja, dieser Singletanzkurs damals. Da gings uns aber noch besser. Vielleicht finde ich eine, die wegen dieser Erinnerung ein halbes Stündchen mit mir das Krankenbett teilt. Eine war wirklich ganz süß. Sabine hieß sie.
Na ja, ein Schwesternballett schien es zu sein. Unheimlich viele Krankenschwestern aus den Kliniken und Praxen im Umkreis, mit denen ein Gespräch innerhalb von Minuten ins Medizinische drängte. Aber dann, nach zwei oder drei Abenden, kam ein Weibchen dazu, das wie Platin inmitten von Katzengold schimmerte. Sie gehörte einfach nicht dazu. Verträgst du noch eins? Entschuldige, aber du siehst etwas angeschlagen aus. Gut. Andrea! Sie wird immer besser, oder? Reagiert schon auf zwei gespreizte Finger. Ach, schau mal! Der Schreiber und die Herzogin! Was? Na, diese dünne Frau mit der gebogenen Nase. Die habe ich heute nachmittag im Café gesehen.
Die Traumfrau erschien, und ich wurde erschreckend unsicher, wenn sie mich ansah. E s blieb natürlich nicht aus, dass wir miteinander tanzten. Ich konnte es nicht mehr, konnte die Harmonie zwischen Geist und Körper nicht mehr herstellen. Wobei allerdings schon mein Geist vor Ehrfurcht erstarrt war. Mann, war mir das peinlich, dieses Gestakse und dieses Mitzählen bei Walzer, Slow Fox und Tango, das mir jede Spontaneität nahm. Komischerweise nahmen das nicht nur alle anwesenden Krankenschwestern hin. Auch Miss Platin schien nichts dabei zu finden. Wahrscheinlich dachte sie: Männer könnens einfach nicht. Trotzdem fand sie mich gut.
Sie war zierlich, anmuti g und sehr, sehr hübsch. Ich musste mich einfach in sie verlieben. Aber ich fand mich von Anfang an damit ab, dass
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