Variationen zu Emily
was dieser Unsinn mit den unterschiedlichen Absendern sollte? Bist du verrückt geworden, fragte sie. Es war ein kurzes Telefonat, und es war unser letztes. Sie hatte ja recht, wenn man es von heute aus betrachtet. Es war wie ein Wahn. Kennst du das? Wahrscheinlich nicht, was? Ich hatte mich die ganze Zeit über an Vorstellungen buchstäblich berauscht, die ihr wahrscheinlich so fern waren wie die Feldzüge Alexanders. Exklusive Hirngespinste, Liebessuff.
Tja. Vielleicht hätte ich auf eine etwas weniger wilde und geduldigere Art etwas erreichen können. Es gab immerhin ein paar Anzeichen dafür. Aber wo wären wir heute? Wieder unglücklich in einer ausgetrockneten Beziehung? Keine Ahnung. Wahrscheinlich ist es gut so, wie es gekommen ist. Denn letztlich beweist die Geschichte nur, dass ich überhaupt nichts von ihr verstand. Wahrscheinlich habe ich sie nie auch nur halbwegs verstanden. Und jetzt will ich dir noch sagen, warum ich heute ausgerechnet diese Episode erzählt habe.
Ich möchte, dass du mit alten Beziehungen sehr vorsichtig umgehst. Beide Teile sind unterschiedliche Wege gegangen. Und der Ort, wo ihr euch trefft, ist nicht derselbe wie damals. Das ist metaphorisch, klar? Alles ist neu. Aber trotzdem ist manches in der Vergangenheit bereits definiert worden. Bedenke das bitte. Also: Ich habe mit Elena telefoniert. Sie kommt her. Genaugenommen ist sie schon da. Sie sitzt seit einer Viertelstunde hinter dir in der Nische da drüben und trinkt Gin Tonic. Viel Glück! Hallo. Ey! Ich möchte zahlen. Ja, das geht zusammen.
34. VERNISSAGE
„Kubismus mit einem Schuss Expressionismus“, sagte ein hagerer, kahler Herr. „Oh schau mal, dein Bruder!“ rief eine Mädchenstimme und versank wieder im Brandungsgeräusch von hundert vibrierenden Stimmbändern. „Da ist er ja.“ – „Wer?“ – „Na, der sogenannte Künstler.“ – „Welcher, der Maler oder der Bildhauer?“ Ein volles Sektglas, verloren von einer Aushilfskellnerin mit Nasenring, zerplatzte mit feuchtem Klang. „Er wurde voll im Schlaf erwischt, sage ich dir. Der Baum ...“ – „Gibst du mir bitte eine Zigarette?“ – „Wer wurde erwischt?“ – „Frank, du weißt doch. Schlief in diesem Tal in seiner Hütte, als ein Windstoß ...“ – „Hey, du auch hier? Wie gehts denn so?“ – „Oh, hallo. Gut, danke. Weg ist sie, die Schlampe. Der Baum hat ihn aufgespießt.“ – „Welcher Baum?“ – „Und das hier, Frau Oberbürgermeister – oh, Verzeihung, ich wollte Sie nicht verletzen.“ – „Hey Tom, lass die alte Schnepfe. Hier bin ich!“ – „Und ich sagte zu Theiresias ...“ – „Klasse Kunst, das alles hier. Kann man das kaufen?“ – „... wollte der Künstler den Freitod aus einer abstrakten und poetischen Sicht darstellen ...“ „Gibts hier keinen Whiskey?“ – „Entschuldigen Sie, aber das ist meine Frau“, sagte der hagere, kahle Herr. „Na und? Ich bin Künstler.“ Die Frau mit den frisch in stählerne Wellen gelegten Haaren quietschte leise, als der Künstler ihre Frisur zu einem Hahnenkamm umgestaltete. Aus einer Ecke, in der sich eine Gruppe sehr farbenfroh gekleideter junger Männer drängte, quoll schallendes Gelächter, das sich kurz über das Brummen der Menge erhob. Weitere Gläser zerschellten auf dem Kachelboden, als sich ein ganzes Tablett schrägstellte, und tränkten den löchrigen Teppich aus Zigaretten- und Zigarrenstummeln. „Du bist gefeuert!“, brüllte eine heisere Stimme, und die Aushilfskellnerin mit dem Nasenring wischte zum Abschied mit einer weitausholenden Bewegung die frisch gefüllten Gläser von der Theke. Erneutes Klingen und leises Zischen, als der Sekt blasenwerfend über den Boden schoss. „Theiresias, hierher!“ Eine sehr große, schüchtern vorgebeugte Gestalt drängte sich durch die Menge. „Das ist der Künstler, der nach der heutigen Ausstellung eine regionale Berühmtheit sein wird.“ – „Theiresias? Das ist doch eine Figur aus einem Drama von Schiller, oder?“ – „Genau, Frau Oberbürgermeister. Kabale und Liebe.“ Die Tür öffnete sich und ließ ein Paar herein. Ihm folgte ein Schemen aus sauberer, klarer Luft, das die Schwaden aus Rauch, Alkoholdunst und Schweiß zum Tanzen brachte. „Hey, Tür zu, wird kalt, verdammt!“ – „Puh, was für eine Luft!“ – „Ach komm, im Club war es auch nicht anders.“ – „Bitte, Sabrina. Wir wollten nicht mehr daran denken.“ – „Tschuldige.“ Der Maler brachte vorsichtig
Weitere Kostenlose Bücher