Variationen zu Emily
Herkunft.“ Ein nacktes Mädchen, verfolgt von zwei torkelnden Männern in Anzügen, huschte kreischend durch den Raum, die kleinen Brüste in ihren Händen verborgen. „Von den Gemälden verstehe ich nichts, Frau Oberbürgermeister“, sagte Tom. „Wir waren nur der Ansicht, dass sich verschiedene Formen der bildenden Künste sozusagen kongruent ergänzen können und im gegebenen Falle tatsächlich eine geradezu poetische Einheit bilden.“ Die ehemalige Oberbürgermeisterin grunzte und stürzte mit stierem Blick ihren sechsten Whiskey herunter. Ein Funkgerät knisterte und brach dann in einen krächzenden Wortschwall aus: „Wagen zwölf! Wo seid ihr Scheißkerle? Hugenottenstraße vier, habe ich gesagt. Sofort hierher, verdammt!“ Die beiden Polizisten schauten sich irritiert an, wischten sich den Schweiß von den Gesichtern und stürzten davon. „Sehen Sie“, sagte der Maler zu einem etwa fünfjährigen Jungen, der einen kleinen hölzernen Roller festhielt, auf dessen Gepäckträger ein Stoffhäschen saß. „Hier habe ich versucht, die tiefenpsychologischen Prozesse in der oralen Phase aufzuarbeiten.“ – „Tom, Sie denken an den Sündenfall, ja? Übermorgen ist Redaktionsschluss“, rief der ohrringtragende Pfarrer. „Moment“, mischte sich ein großer, feister Mann mit Doppelkinn und Mehlstaub in den Augenbrauen ein. „Erst kommt sein Beitrag für die Bäckerzeitung, Titel: Verdauungsförderung für den neuzeitlichen Sitzmenschen.“ – „Was hast du nur immer mit den Blondinen?“ – „Welchen Blondinen, mein Herz?“ – „Was haben die, was ich nicht habe, kannst du mir das sagen?“ – „Na, blonde Haare und manchmal diesen wundervollen Teint und die Figur einer Siebenkämpferin und ...“ – „Schwein!“ Tom brachte die ehemalige Oberbürgermeisterin zur Tür, wo schon ein Taxifahrer wartete, in dessen Gesicht sich deutlicher Widerwillen abzeichnete. „... und hoffe, dass Sie in Ihrer Eigenschaft als Förderin der regionalen Künste ...“ Die ehemalige Oberbürgermeisterin rülpste und ließ sich torkelnd in die Arme des Taxifahrers fallen. Die Tür war kaum hinter ihr zugefallen, als sie wieder geöffnet wurde. Ein langhaariger, pickliger junger Mann mit Gitarrenkoffer, auf dessen T-Shirt der Slogan Fuck Suck and Rock aufgedruckt war, sagte zu dem zufällig in der Nähe stehenden schwitzenden Galeriebesitzer: „Irgend jemand hier hat leisen, improvisierten Gitarrenjazz bestellt.“ – „Fick dich selber, du Schwuchtel, und saug dran, wenn du es schaffst. Um acht, hatte ich gesagt. Um acht, nicht um elf. Herrgott!“ Der junge, picklige Mann sah auf seine Uhr, auf deren Zifferblatt Goofy albern grinste: „Himmel, ich habe mich tatsächlich ein wenig verspätet.“ – „Ihnen gefällt das Werk, wie ich sehe, mein Herr.“ Der Junge mit dem Roller schaute interessiert und erzeugte eine pampelmusengroße Kaugummiblase, die ihm beim Zerplatzen das Gesicht mit einer weißen Maske verklebte. „Mama?“, fragte er dann weinerlich. „He, Theiresias, warum versteckst du dich? Hier sind zwei Kollegen von mir ...“ – „Meinen Sie nicht, Herr Theiresias, daß Fromm mit seiner Theorie der versandeten Gefühle in einer oasenhaften Triebhaftigkeit das Haubensähnchen, ach was, wollte sagen, das Saubenhähnchen ...“ – „Mach ein Foto, du Eunuch! Der Text hat Zeit bis morgen. Sorry, Theiresias. Völlig betrunken, die Jungs.“ – „Tom, warte! Vielen Dank!“ – „Für das hier? Warte ab, bis ich dir die Kaufverträge gezeigt hab e. Du wirst staunen!“ – „Nein, nicht dafür ...“ – „Hallo, Sie! Sind Sie der Manager? Da stand doch vorhin noch so eine fliegende Gestalt. Kann ich mir die noch einmal ansehen?“ – „Tut mir leid, ein Käufer aus Saudi-Arabien. Unter uns: Ein Mitglied der Herrscherfamilie. Er wollte die Skulptur gleich mitnehmen. Ist jetzt bereits auf dem Weg zur nächsten Opec-Konferenz in Traunstein. Das Öl wird jetzt wohl teurer werden. Aber vielleicht finden Sie ja auch an diesem Objekt Gefallen ...“ Das nackte Mädchen kopulierte auf der improvisierten Theke mit einem Mann in einem braunen Jackett, dessen dunkelblaue Unterhose sich zwischen seinen Knien spannte. Die feine ältere Dame in Grün hatte ihren Stuhl zurechtgestellt und sah aufmerksam zu. „Echt krasse Fickerei, viel besser als die tote Scheißkunst“, sagte sie zu der Dame in Lila, die sich versöhnt neben ihr eingefunden hatte. „So lebendig, so echt. Keine schwuchtelige
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