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Variationen zu Emily

Variationen zu Emily

Titel: Variationen zu Emily Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Saarmann
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einfach zur Last. Ich war schließlich sogar froh, dass ich für drei Tage beruflich verreisen musste – ein Interviewtermin bei einem bekannten Konsumgütererzeuger. Bei meiner Rückkehr hatte ich den Eindruck, dass die Wohnung in dieser Zeit leergestanden hatte. Mein Frühstücksgeschirr stand noch unangetastet in der Spüle, die am Vorabend meiner Abreise gefüllten Aschenbecher waren noch voll, und es roch nicht im geringsten nach menschlicher Anwesenheit. Selbst die Fernbedienung des Fernsehers lag noch genau so da, wie ich sie hingelegt hatte.
    Nun, das konnte verschiedene Gründe haben. Sie war für ein paar Tage zu ihrer Schwester zurückgekehrt oder kurz zu ihren Eltern gefahren, um einige Sachen zu holen. Vielleicht war aber auch etwas Schreckliches geschehen. Während ich auspackte, wurde ich von einer sich langsam ausbreitenden Sorgenseuche infiziert. Wenn sie überfallen worden war! Ich kannte ein paar Viertel in unserer Stadt, wo man besser allein nicht hinging. Ich erwog kurz, Antonia anzurufen, widerstand dann aber, um meine Ängste nicht zum Allgemeingut zu machen und mir eine dumme Diskussion zu ersparen. Als ich schließlich mit zitterigen Händen ein Glas Wein trank und überlegte, was in einschlägigen Krimis in so einem Fall geraten wurde, rasselten Schlüssel vor der Tür, fielen herab, ein Sc hlüssel ratschte ins Schloss – und da war sie.
    Sie war blass . Sie sah mich nicht an, legte Schlüsselbund, Mantel und Handtasche ab und kam geistesabwesend in die Küche, wo ich saß wie ein überraschend verlassener Liebhaber. Oh, du bist zurück, sagte sie, küsste mich kurz auf die Wange und verschwand dann im Bad, wo sie lange blieb. Was treiben Frauen eigentlich immer stundenlang im Bad? Ist das eine Art Refugium, wo sie sich selbst befragen? Nun, ich bin jedenfalls nur zeitweilig ein Trottel, weißt du. Für mich sah all das nicht nach intensiven Studien aus. Als sie zurückkam, zitterte ich zwar immer noch, aber mittlerweile war aus Angst und Sorge Wut geworden. Wo bist du gewesen? Oh, ich war nur ein, zwei Stunden weg, ein wenig spazieren. Klar, und mit wem bist du die letzten zwei, drei Tage zusammengewesen? Ich schrie, sie schrie. Es war ziemlich laut. Meine Lautstärke sagte mir, dass ich wohl verletzt war. Ihre Lautstärke verriet mir, dass sie nach einer Rechtfertigung suchte und sich schuldig fühlte.
    Wir brüllten einander eine Weile an, bis s ie mir unter Tränen gestand, dass sie ein Verhältnis mit Niels begonnen hätte. Wer zum Teufel war Niels? Ich kannte niemanden, der so hieß. Er war offensichtlich der umschwärmte König im Fach Sozialpädagogik, und ausgerechnet sie hatte er zu seiner Königin erwählt. Nein, sie wollte mich nicht verlieren. Ja, sie wollte ihn weiterhin sehen. Ich sei doch letztlich schuld daran, dass sie sich darauf eingelassen habe. Unsere Tage und Nächte waren nicht mehr wie vorher. Ich würde ständig arbeiten, mein Interesse an ihr sei erlahmt, ich würde mir doch wünschen, dass sie endlich wieder in ihre Heimatstadt zurückginge. Zufällig stimmte das.
    Trotzdem war ich platt. Die Argumentation war wirklich absurd. Sie verriet mich, ging mit einem Fachhochschulgigolo ins Bett und vernachlässigte meine Wohnung – aber ich war schuld! Ich hätte sie wegen dieser Dreistigkeit schlagen können, aber das tun ja wohlerzogene Männer unseres Alters nicht mehr. Ich holte mir ein Bier und begann zu schweigen. Ich schwieg, bis sie weinend ins Bett ging. Ich trank noch ein paar und legte mich dann auf das Sofa. Erstaunlicherweise schlief ich tief und gut, bis ich sie in den frühen Morgenstunden ins Bad gehen hörte. Es war halb fünf. Danach liefen Filme in meinem Gehirn ab, die sie mit dem anderen zeigten – verwackelt und ein wenig unscharf wie diese Super-Acht-Amateuraufnahmen, die damals von so vielen Kindern gemacht wurden.
    Um das zu beenden, stand ich schließlich auf, kochte mir einen Kaffee und holte mir die Zeitung von unten. Ich war ein wenig verkatert, daher wie immer in diesem Zustand sentimental und wünschte mir nichts als Harmonie. Ich hätte ihr verzeihen können, aber dann würde es so erscheinen, als hätte ich meine absurde Schuld akzeptiert. Und sie hätte das ausgenutzt, dessen war ich mir sicher. Nein, sie musste den ersten Schritt tun. Dann könnte ich die ganze Sache vergessen. Voraussetzung aber war, dass sie das Verhältnis mit ihrem Beau im vierzehnten Semester beendete. Sie kam völlig angekleidet aus dem Schlafzimmer, ging

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