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Variationen zu Emily

Variationen zu Emily

Titel: Variationen zu Emily Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Saarmann
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werden beobachtet. Am besten legen Sie alles unauffällig wieder ab und gehen zur Kasse. Ich deck e Sie.“ Sie stellte sich so, dass die Frau gegen den Blick des Beobachters abgeschirmt war. Die Reaktion erfolgte prompt. Vor Marthas Augen wanderten außer dem Kaviar und dem Rasierer ein kleines Stück Seife, ein Radiergummi und ein Tütchen Gourmetfutter für Katzen aus dem Ausschnitt zwischen die ordentlich aufgereihte Rasierseife und Zahnpasta. Ein angedeutetes Nicken, dann eine ruhige, beherrschte Stimme: „Danke. Komisch, ich habe gar keine Katze.“ Danach ging sie gelassen auf die Kassen zu.
    Martha wählte einen Damenrasierer und schob ihren Einkaufswagen auf den Mann hinter seinen Teddybären zu. Der war dem Objekt seiner Beobachtung nicht gefolgt, sondern fixierte jetzt offensichtlich sie selbst. Als sie sich dem Ende des Gangs näherte, setzte er sich in Bewegung und kam ihr entgegen. Oh je, dachte sie, jetzt kommt bestimmt eine Moralpredigt. Aber nein! Dieser Mann hatte am Morgen vergessen, sich Hosen anzuziehen. Er breitete die Schöße seines Trenchcoats auseinander und präsentierte ihr ein modisch bedrucktes Hemd, eine Lederweste und eine erbärmliche Erektion. Das Jämmerliche dieser Erscheinung hielt sie nicht davon ab, mit einem bösen Grinsen ihren Wagen aus kaltem Stahldraht mit seinem warmen Fleisch in Kontakt zu bringen. „Oh, entschuldigen Sie“, spottete sie. Eine ungesunde Röte überzog sein Gesicht, und das Türmchen fiel lautlos in sich zusammen. Mit einem heiseren Keuchen raffte er seinen Mantel zusammen und wandte sich zur Flucht. Sie sah ihn sich eilig durch eine der vor den Kassen wartenden Schlangen drängeln. Pech gehabt. Aber diese eigenartige Spezies hatte wahrscheinlich immer Pech, wenn sie nicht gerade auf eine prüde Oma oder ein unreifes Mädchen stieß.
    Es war spät geworden. In der Praxis hatte der Doktor noch mit ihr sprechen wollen. Er verspürte wohl nach langer Zeit mal wieder das Bedürfnis, ihr seine Wertschätzung auszudrücken, um sie vielleicht doch noch für ein nettes außereheliches Verhältnis gewinnen zu können. Sie käme so gut bei den Patienten an. Wie zuverlässig sie bei den Operationen assistierte! Und dann lud er sie zum Essen ein. Oh, leider war sie verabredet! Sie wollte absolut kein Verhältnis mit ihrem Chef. Dann hatte der Einkauf wegen der eleganten Diebin auch länger gedauert als geplant. Es wurde höchste Zeit, das Brot zu holen und dann zu Hause alles für den Abend mit Sabrina herzurichten.
    Ein leichter Nieselregen zog Silberfährten über die schwarze Fahrbahn. Die Fußgängerzone war wegen des kühlen, nassen Wetters längst menschenleer. Die Laternen standen wie große, tropfende Pilze und bildeten dunstige Lichtzelte. In den wenigen noch beleuchteten Läden beschlugen von innen die Scheiben – senkrecht aufragender Nebel, der in ge zackten Bahnen nach unten abfloss. Sie beschleunigte ihre Schritte. Der Bäcker würde in wenigen Minuten schließen. Hoffentlich war noch Baguette da! Zwanzig, dreißig Meter vor ihr waren andere Gestalten unterwegs. Drei Jungs offensichtlich, mit glänzenden schwarzen Jacken. Ihr Haar hing ihnen in nassen Strähnen in die blassen Gesichter. Sie kamen ihr mit dem gespielt lässigen Schlendern entgegen, mit dem diese Sorte Mensch verkündet, dass ihr nicht nur das Wetter scheißegal ist.
    Martha wandte sich der Straßenseite zu, auf der mehr Beleuchtung in den Fenstern auf ein noch halbwegs reges Leben schließen ließ. Warum wechselten die Kerle jetzt auch die Straßenseite? Schulter an Schulter kamen sie direkt auf sie zu: dreimal vor Nässe glänzende Lederimitate. Was wollten die? Sie überlegte, was sie ihnen zur Not anbieten konnte: die Einkaufstüte, das Portemonnaie, ihren Schmuck? Da standen sie vor ihr und blockierten den Weg. „Na, Süße, eingekauft für deinen Liebsten?“ Der Typ war vielleicht zwanzig und sah mit der langen, weiß-bläulich schimmernden Narbe auf der Wange ein wenig gemein aus. Es gab doch im sogenannten Rat Pack so einen gigolohaft daherkommenden Kerl – wie eine sehr junge Ausgabe davon kam er ihr vor. Die beiden anderen waren unscheinbar, bleiche, wenn auch narbenlose Spiegelbilder ihres Kameraden. Den gleichen harten, arroganten Ausdruck im Gesicht, die gleiche Kleidung, die gleiche Haltung lässiger Gewaltbereitschaft.
    Ein Messer schnappte auf und fing kurz das Licht der nächsten Straßenlaterne ein: ein kleiner kalter Blitz, der ihr bis in den Magen fuhr und

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