Variationen zu Emily
aber ich kann auch dieses Leben nicht mehr lange aushalten ... es ist so entsetzlich einsam ... so leer, so monoton ... so verdammt ekelhaft mit diesen ausgehungerten Leuten im Club ... so, diese Bluse noch, dann ist Schluss für heute.
15. RULE BRITANNIA V
Guten Abend! Na, wie geht es dir? Nein, Andrea, kein Wort! Mit dir rede ich nicht mehr anders als geschäftlich. Hast du diese Anfälle häufiger? Mal überlegt, eine Behandlung bei einem Psychoarzt zu beginnen? Ach, es tut dir leid? Wirklich toll! Weißt du, wie du mich bloßgestellt hast? Ich habe dir doch wirklich nichts getan an dem Abend. Komm, vergiss es – für mich bist du nichts als ein Stück Scheiße im Nylonstrumpf. Ich nehme ein Bier.
Die ist wirklich dreist! Ach, nichts weiter. Ich war mit ihr im Schützenhof, un d sie macht mir ohne jeden Anlass eine Szene. Beschimpft mich, wird furchtbar aggressiv, schmeißt das gesamte Geschirr und die schönen Gläser auf den Boden und verschwindet. Und das vor allen Leuten. Ausgerechnet Martha war auch da und hat alles mit angesehen. Martha? Meine Exfreundin. Die letzte. Da holt man so ein Slumkind mal aus seinem Milieu, und was geschieht? Nicht nur, dass ihre Freunde das Taxi, mit dem ich sie abgeholt habe, demolieren. Nein, sie blamiert mich vor der ganzen Stadt. Sehr peinlich! Und eins ist klar: Sie ist offensichtlich nicht ganz richtig im Kopf. Hüte dich vor ihr. Sieht ja sehr nett aus, aber das ist nur die Hülle. Völlig zerfressen vor Neid und Missgunst, wenn du mich fragst.
Aber egal. Was läuft bei dir? Eine Statuette verkauft? Na toll! An einen vermögenden Sammler? Wie bist du an den gekommen? Eine Begegnung an der Bushaltestelle? Vater Zufall also. Ja, manchmal leistet er doch auch gute Dienste. Und deine Freundin? Immer noch bei der Mutter? Was? Hör auf! Jetzt in Amerika? Und immer noch keine Perspektive? Weißt du, was ich machen würde? Nutz die Chance, schmeiß alles von ihr raus und beende die Geschichte. Die taugt doch nichts. Frauen, die sich ins Nebelland zurückziehen, sind vor allem feige. Fechten nichts aus. Wissen nicht, was sie wollen. Du bist doch nicht irgendwer. Soll sich einen reichen Amerikaner suchen. Hotdog und Burger von morgens bis abends – und wenn du sie mal auf einem Sightseeing-Trip durch Europa mit den Stationen London, Paris, Rom und unserem Kaff hier wiedersiehst, erkennst du sie wegen ihrer hundertdreißig Kilo nicht wieder. Such dir was Nett es, eine, die glücklich ist, dass sie dich hat. Einen Künstler, immerhin.
Ich war ja mal mit Frauke zusammen. Kennst du nicht? Komisch. Ging immerhin eine Weile. War auch gelegentlich mit ihr hier. Sie war die Schwester einer Frau, die ich durch meinen Job kennenlernte. Die Schwester – Antonia hieß sie – machte ein Praktikum in der Redaktion und fiel gleich am ersten Tag auf durch einen prägnanten Schweißgeruch und ein irgendwie männliches Gehabe. Du kennst doch diese Art Frauen mit zuviel Testosteron: Anzüge mit Krawatte, Kurzhaarfrisur, einen leichten Flaum auf der Oberlippe, Schuhgröße dreiundvierzig und eine Vorliebe für Diskussionen über die Rolle der Frau in der patriarchalischen Gesellschaft. Sie trug wohl Blusen aus diesem unsäglichen Mischgewebe, da s man angeblich nur anpusten muss, um alle Schmutzpartikel daraus zu entfernen. Das auch ohne Bügeln niemals Falten aufweist. Jedenfalls roch ihr Schweiß in Verbindung mit diesem speziellen Plastik Meilen gegen den Wind.
Sie war fleißig, sehr ehrgeizig und daher ständig unter Strom. Sie war mir zugeteilt und fand mich für meinen Geschmack ziemlich schnell viel zu gut. Sie stellte mir nach, übernahm plötzlich meine Gewohnheiten und Redensarten, rauchte meine Zigarettensorte und kaufte sich die Bücher meiner Lieblingsautoren, um mich am Ende des Arbeitstages in lange Gespräche darüber zu verwickeln. Sie ging mir bald auf die Nerven. Klar, oder? Man will schließl ich nicht ständig mit seinem missratenen Spiegelbild konfrontiert werden. Aber es war ja nur ein befristetes Praktikum, und ich wollte sie nicht verletzen, als sie mich in einem wahrhaft mitleiderregenden Ton zu ihrer Geburtstagsfeier einlud. Ich hatte als ihr Tutor Verantwortung für sie übernommen, und so ging ich hin.
Es war schlimmer, als ich erwartet hatte. Sie kam aus einem Dorf in Norddeutschland, und so fanden sich viele langsam sprechende, bedächtig denkende Friesen ein, mit denen eine Plauderei über die Wetterlage etwa so viel Zeit in Anspruch nahm wie die
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