Varus - Historischer Roman
Krieger waren zu überrascht, um ihre scheuenden Pferde zu halten. Schon war er wieder unter seinen Männern, befahl, ihm zu folgen, trieb mit rohen Sporenhieben die Stute vorwärts, die Senke entlang und hielt Ausschau nach einem Weg, nach einer Möglichkeit, seinen Auftrag auszuführen, dem Feind in den Rücken zu fallen, so sinnlos das auch erscheinen mochte. Aber er hatte die Orientierung verloren, und als von der Seite Hufschlag ertönte, er die feindlichen Reiter im Augenwinkel erspähte, die aufholten, seine Männer bedrängten, packte ihn die Angst wie eine eisige Faust. Er hatte die blutigen menschlichen Glieder vor Augen, die in der vergangenen Nacht ins Lager geschossen worden waren, die gehenkten Leichen von Frauen und Kindern an den Bäumen, übersät mit Wunden. Diese Feinde waren zu schnell, zu stark, sie waren härter und grausamer als alles, was er bisher bekämpft hatte. Als hätten sie böse Geister, unterirdische Mächte, Furien als Helfer gewonnen.
Er spähte über die Schulter, die Leibwächter mühten
sich, ihn abzuschirmen, sich zugleich der Barbaren und ihrer Spieße zu erwehren. Die fliehenden Soldaten wurden aus den Sätteln gestoßen, gerissen, von den nachfolgenden Pferden niedergetrampelt. Schreie übertönten den vom weichen Boden gedämpften Hufschlag.
Schräg vor ihm fiel der Abhang steil ab, dorthin drängten die Barbaren Vala und seine letzten Begleiter. Sie vertrauten wohl darauf, dass er sein Pferd zügeln, dem Abhang ausweichen und dabei in ihre Hände geraten würde. Er ließ den Schild fallen, umkrampfte das Heft des Schwertes und die Zügel, verlagerte das Gewicht nach hinten und hetzte die Stute hinab. Er kniff die Augen zu, ein Stoßgebet entfloh seinen Lippen, eine ziellose Bitte. Sie sprang. Flog. Setzte auf und rutschte, sprang weiter. Das erste Steilstück war überwunden, und Vala warf in jäher Verzückung einen Blick zurück, hinauf zu den Barbaren, die einen Weg suchten.
Noch einmal trieb er die Stute voran, die sich sträubte und wiehernd stieg. Dann machte sie einen Satz in die Tiefe. Als die Vorderhufe den Boden berührten, knickte sie ein, noch im Schwung überschlug sie sich, schleuderte den Reiter aus dem Sattel, der sich in der Luft drehte und auf dem Rücken aufprallte, ehe etwas ungeheuer Schweres ihn halb unter sich begrub.
Ein jäher Schmerz durchbohrte ihn zwischen den Schulterblättern, schoss bis in die Fingerspitzen und Zehen. Blutrote Schwaden schwebten vor seinen Augen, als hätte jemand einen mit Farbe getränkten Pinsel in Wasser getaucht. Er rang nach Atem, vergeblich, in seiner Brust schien etwas zu bersten.
Die Stute keuchte leise. Schritte näherten sich, er hörte Stimmen, konnte endlich atmen, schnell und abgehackt. Die Lunge füllte sich nicht. Das Schwert. Er wollte danach
tasten, drehte, dem knirschenden Schmerz zum Trotz, den Kopf, doch seine Hand, sein Arm gehorchten ihm nicht. Er hörte Männer in der Sprache der Barbaren sprechen. Sie waren nahe, sehr nahe. Einer stand neben seinem Kopf. Das Pferd zuckte einmal heftig, als wollte es aufspringen, und wurde dann still. Der Mann kniete nieder, öffnete das Helmband an Valas Hals, löste bedächtig den Schal, während Vala keuchend bewusst wurde, dass er kein Glied mehr rühren konnte, weder Arme noch Beine. O Iupiter!
Schweigend nahm der Mann ihm den Helm ab, hob seinen Kopf an den Haaren hoch und schob langsam ein Scheit unter das Genick. Vala spürte sein Herz schlagen, mächtiger und härter als je zuvor. Etwas rann über seine Schläfen. Eine Hand umschloss sein Kinn, die andere legte sich auf seine Stirn. Dann ein scharfer Ruck.
Ebenso wie die Leibwächter an seiner Seite riss Ceionius den Schild hoch, als eine weitere Salve von Wurfspießen vom Wall herabregnete. Die meisten Geschosse prallten an Holz und Bronzebuckeln ab, dennoch entstanden einzelne Lücken in den Reihen der Soldaten. Verwundete wurden nach hinten zu den Feldschern gereicht, während die Legionäre den Hang hinaufstürmten, und die Frontlinie näherte sich unaufhaltsam dem niedrigen Wall, während die Offiziere sich zurückfallen ließen. Ceionius’ Nackenhaare sträubten sich, als die erste Reihe den Wall erreichte, der steil und glitschig war. Sie wurden von den Nachdrängenden geschoben, hinaufgedrückt, wo die Barbaren sie schon mit Spießen, Schwertern und Keulen erwarteten. Mann neben Mann standen sie hinter der roh gezimmerten Palisade, hieben und stachen auf die Angreifer ein.
Einen Atemzug lang
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