Varus - Historischer Roman
Gesandten rangen. Die Schildmauer geriet ins Wanken, bevor die Feinde sie erreichten, sie zerriss, als die ersten Soldaten die Flucht ergriffen, die Bogenschützen voraus. Annius packte Sabinus’ Arm und zerrte den Widerstrebenden mit sich, den Kamm des Walles entlang. Zwei Krieger verfolgten sie, jetzt sträubte sich Sabinus nicht länger, und Annius hielt seinen Schild dicht neben dem des Sabinus, ließ dessen Arm fahren und zückte stattdessen sein Schwert. Als einer der Barbaren brüllend vorpreschte, sein runder Schild gegen Annius’ langen krachte, fing Annius den Schwung ab und hieb dem Barbaren das Schwert auf die Flanke. Ein schneller Stich traf über den Rand des Holzes das Gesicht des Barbaren, dass dieser aufschrie und zurücktaumelte.
Sabinus hatte unterdessen den zweiten abgewehrt, so konnten sie sich rasch ein Stück zurückziehen, während weitere Soldaten und Barbaren nachrückten, sich in ein Handgemenge verwickelten. Klingen blitzten im Dunkel auf, Körper prallten auf den Boden, rollten den Hang hinunter. Plötzlich erkannte Annius unter den Soldaten Blaesus und Venicius, die ihn ungläubig anstarrten. Ein feiner Schauer durchlief ihn.
Rings um das Tor tobte ein wildes Gefecht, mitten im Lager loderten Feuer inmitten umherrennender Schatten, fra ßen auch das Zelt des Varus. Offenbar versuchten Soldaten, den Leichnam des Statthalters zumindest zu verbrennen, um ihn dem Zugriff der Barbaren zu entziehen, doch das durchweichte Leder war zu zäh für die Flammen, und der Barbaren gab es zu viele. Annius schaute seine verbliebenen Kameraden an, einen nach dem anderen. Sie mussten weg. Irgendwohin. Eine Richtung einschlagen, mit der die Barbaren vielleicht nicht rechneten.
»Folgt mir!«, rief er, wandte sich um und eilte zum Eck des
Walles. Die Schmerzen in seinem Knie schienen verschwunden, als tue ihm die Belastung gut. Er hörte ihre Schritte hinter sich, hob an der Kante den Schild über den Kopf und rutschte den Hang hinunter, gefolgt von den anderen. Auf dem Grund des Grabens stakste er durch das spitze Reisig, kämpfte sich auf der anderen Seite hoch und rannte in Richtung des Auwaldes.
Bäume und Laub dämpften den Lärm, als wollten sie ein kleines Friedensreich inmitten der Vernichtung bewahren. Doch auch hier lagen die nackten Leichen Gefallener, umspült von den Armen eines Baches. Venicius hatte eine Fackel gerettet, deren zuckendes Licht ihnen leuchtete. Wortlos verständigten sie sich, Erfahrung ergab das Übrige. Mit nassen Füßen tappte Annius durch das Bachbett und sah sich um. Keine Verfolger. Wie durch ein Wunder waren sie entkommen.
Eine kleine Glocke bimmelte durch die Dunkelheit, eine Maultierglocke. Ein lächerlicher Ton in dieser Finsternis. Dann ein Schnauben. Sabinus lehnte seinen Schild an einen der dünnen Baumstämme und ging voraus, schnalzte leise mit der Zunge und lockte mit seiner Stimme, bis der Schatten eines Maultiers sich zwischen den Bäumen löste und näher kam.
»Die Götter seien gepriesen!«, rief Blaesus, als Sabinus die hängende Führungsleine aufnahm, während das Maultier vergeblich in seinen Händen nach Leckereien suchte. »Das Vieh hilft uns weiter.«
Ein bitteres Lachen löste sich in Annius’ Kehle, kaum mehr als ein leises Prusten. Er blickte sich um, tastete durch den Stoff von Waffenrock und Tunica nach dem Ring an seiner Hüfte. Der Dolch drückte schmerzhaft. Er durfte sich jetzt nicht hinsetzen, auch wenn er noch so erschöpft und übermüdet
war. Sie mussten weiter. Mussten hoffen, dass die Barbaren zu beschäftigt waren, um eine Handvoll Flüchtlinge für wichtig zu halten.
Behutsam strich Thiudgif Sura über die Wange, so leid tat es ihr, das Mädchen zu wecken. Doch sie mussten aufbrechen, es war gefährlich genug gewesen zu rasten. Erst im Morgengrauen hatte Thiudgif es gewagt, eine Herdstelle zu errichten und ein Feuer zu entfachen, das keinen Rauch verursachte, sondern lediglich Glut. In einem kleinen Bronzeeimer, den eine der Frauen hatte retten können, kochte Grütze aus bitterer Grassaat; Thiudgif hatte etwas davon für Sura auf ein großes Blatt gefüllt und mit Beeren, die sie in der Dämmerung gesucht hatte, genießbar gemacht.
Endlich öffnete das Mädchen die Augen, blinzelte und verzog sogleich das Gesicht. Thiudgif tätschelte ihre Schulter und setzte ein aufmunterndes Lächeln auf.
»Komm, ich bringe dir Wasser und etwas zum Essen. Wir brechen bald auf.«
»Ich will aber nicht weitergehen!«, maulte Sura.
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