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Varus - Historischer Roman

Titel: Varus - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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hinunter, warf das Blatt beiseite und erhob sich.
    »Wir haben noch einen langen Weg vor uns«, sagte sie und warf sich zum Zeichen des Aufbruchs das über Nacht getrocknete Manteltuch um die Schultern. Die beiden Freigelassenen erhoben sich und schulterten ihre neuen Waffen, die anderen Frauen ließen sich Zeit, einige murrten sogar.
    Forsch schritt Thiudgif voran, beäugte wachsam die Umgebung, suchte nach Spuren. Sie ging voraus, weil ihr zum Weinen zumute war, aber niemand sie so sehen sollte, und sie ging so schnell, dass Verwünschungen hinter ihr ertönten.
    Als sie das helle Grün eines Wiesengrundes zwischen den Bäumen hindurchleuchten sah, gab sie den anderen Zeichen, zu warten und leise zu sein, ehe sie hinuntereilte, um aus dem Schutz des Dickichts Ausschau zu halten. Vor ihr lag Weideland, im Talgrund wuchsen buschige Korbweiden und Erlen, ein Dorf war nicht zu sehen, auch wenn sich mehrere Hügel vor ihr erhoben. Der nächste Waldrand war weit entfernt; die nächste Hügelkette nur ein blasser Schatten.
    Als Thiudgif sicher war, dass sie keinem Menschen begegnen würden, wollte sie zu den anderen zurückkehren, drehte sich um und wäre beinahe mit Thiaminus zusammengeprallt, der ihr nachgegangen war. Als sie vor dem Speer erschrocken zurückfuhr, hob der junge Mann beschwichtigend
die freie Hand, sagte, er wolle sie nur beschützen, sie sei unersetzbar. Lächelnd ging Thiudgif an ihm vorbei und winkte den anderen, ihnen zu folgen.
    Der Weg durch das Tal führte sie zu einem Flüsschen, gesäumt von Weiden und Erlen. Hier konnten sie kurz rasten, die Füße ins Wasser tauchen, etwas trinken und Beeren von den Hecken naschen, nachdem sie Thiudgif gefragt hatten, ob diese Früchte genießbar seien. Während die meisten auf Steinen am tief eingeschnittenen Bett des Flüsschens saßen, spähte Thiudgif nach der nächsten Hügelkette.
    »Wir müssen wieder in den Schutz des Waldes«, murmelte Amra.
    Thiudgif nickte, sah nach der Sonne am spärlich bewölkten Himmel und stellte beruhigt fest, dass es noch nicht Mittag war.
    »Wenn wir heute Abend hinter dem nächsten Hügelkamm lagern, bin ich zufrieden«, sagte sie.
    »Weißt du, wo wir sind? Wenigstens ungefähr?«
    »Im Gebiet der Brukterer«, erwiderte Thiudgif. »Wenn wir uns genau zwischen Mittag und Sonnenuntergang halten, treffen wir unweigerlich auf die Lupia und haben es nicht mehr weit bis zum Rhenus.«
    »Bist du sicher?«
    Zögernd befeuchtete Thiudgif ihre Lippen und senkte den Kopf, während Amras Blick auf ihr ruhte. Schließlich legte die Frau eine Hand um Thiudgifs Arm, drückte sanft zu.
    »Wir haben ohnehin keine andere Wahl. Ich sorge mich nur um Sura. Auch wenn sie kein Sohn ist, schulde ich meinem Mann das Leben seines Kindes. Sie ist alles, was von ihm bleibt.«
    Als Thiudgif den nassen Glanz in Amras Augen bemerkte, strich sie mit den Fingern tröstend über ihre Hand. »Ich
glaube, wir haben einen guten Vorsprung. Den müssen wir nutzen.«
    Doch Amra ließ nur müde den Kopf hängen, und dann rollten die Tränen über ihre Wangen. Rasch schloss Thiudgif sie in die Arme, zog sie fest an sich und strich ihr über das vom Mantel verborgene Haar. Der säuerliche Geruch ungewaschener Haut, kaum übertüncht von zerdrücktem Moos und Gras und modriger Erde, stieg ihr in die Nase und sie schämte sich ein wenig für ihr eigenes Zeug, als Amra sie ihrerseits umschlang.
    »Versprich mir - nein, schwöre mir, dass du mein Kind vor allem Bösen behüten wirst, wenn mir etwas zustößt!«, flüsterte sie.
    »Dir wird nichts zustoßen«, entgegnete Thiudgif.
    »Ich flehe dich an, im Namen deiner Mutter, die dasselbe für deinen Vater täte!«
    »Meine Mutter ist schon lange tot, Amra, und selbst wenn ich Sura mitnähme, könnte ich sie doch nicht nach deiner Sitte aufziehen.«
    »An den Häfen entlang des Rhenus wohnen Menschen von meinem Volk. Nenne ihnen den Namen meines Mannes, Quintus Statilius, dann werden sie seine Tochter freudig als ihr Kind aufnehmen.«
    »Bist du sicher?«
    Der beschwörende Blick aus Amras schwarzen Augen ließ Thiudgif nachgeben. »Gut, ich verspreche dir, dass ich Sura zu Menschen deines Volkes bringen werde, falls dir etwas zustieße.«
    Wieder rannen Tränen über das trotz der Jahre schöne Gesicht, dann schmiegte sie sich fest an Thiudgif und flüsterte Dankesworte und fremd klingende Segenssprüche in deren Ohr. Schließlich gelang es Thiudgif, sich aus der Umarmung
zu befreien und Amra zum Weitermarsch zu

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