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Varus - Historischer Roman

Titel: Varus - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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zu haben. Nicht nur, dass sie mit vom Rausch heiseren Stimmen Siegeshymnen und Spottgesänge durch die Nacht grölten, er hörte auch gequältes Wimmern und spitze Schreie, die davon zeugten, dass die Kerle sich nicht nur mit dem Wein, den sie in den vergangenen Tagen erbeutet hatten, vergnügten. Irgendwann hatten zwei Männer einen nackten Körper, der sich verzweifelt wand, hergeschleift und einem der Wächter zugeworfen. Caldus hatte die Augen zugekniffen, aber er musste das Winseln anhören, dumpfe Schläge, ersticktes Ächzen, dann ein schnelles rhythmisches Klatschen, als schlüge jemand nasse Wäsche aus, und trockenes Keuchen, das erstarb, ehe sich alles nach einem kurzen brummigen Wortwechsel wiederholte.
    Caldus hatte den Kopf in den Nacken gelegt und Morpheus um Schlaf gebeten; er hatte nichts mehr, was er dem Gott versprechen konnte, musste auf dessen willkürliche Gnade hoffen, flehte lautlos darum, dass seine Erinnerung verschlossen werden möge. Als seine Kraft ihn im Laufe der Nacht verließ, brachen seine Knie immer öfter weg, sodass die Ketten seine Arme aus den Gelenken zu reißen drohten. Der Schmerz hatte ihn schließlich erbrechen lassen, doch die Hoffnung, daran zu ersticken, hatte sich nicht erfüllt.
    Erst als das Ende der Nacht alles in mattes Grau tauchte, legte sich der Lärm; stattdessen erschienen Männer in
langen, hellgrauen Gewändern, zogen gemessenen Schrittes von einem der Gefangenen zum anderen und besprengten die geschundenen Körper mit Wasser aus einem mitgeführten Kessel, während sie Beschwörungen raunten. Einen Atemzug lang kam ihm die Scham zu Bewusstsein, dass er sein Wasser verloren und sich beschmutzt hatte, doch auch das versank in Bedeutungslosigkeit. Er senkte die Lider und ließ die barbarischen Priester gewähren.
    Unvermittelt schlüpfte bittere Angst in sein Herz, die Nackenhaare sträubten sich, Schweiß brach aus allen Poren. Man würde sie alle, die hier aufbewahrt wurden, als Opfer für einen finsteren, grausamen Gott schlachten. Krampfhaft zerrte Caldus an den Ketten, beachtete den Schmerz nicht, als das Eisen in die Wunden schnitt, bis die todeskalten Glieder so sehr zitterten, dass sein Körper den Dienst verweigerte und erschlaffte. Er hörte sich schluchzen, spürte, wie der heiße Zorn aufloderte.
    Gnädig senkte sich ein matter Dämmerschlaf über ihn, und Bilder rasten an ihm vorüber, als falle er in einen unendlich tiefen Brunnen. Er sah sich auf seinem Pferd einen Hang entlangstürmen, und das Herz schlug ihm bis in den Hals hinauf, Barbarenkrieger rannten auf ihn zu, Keulen und Klingen über dem Kopf schwingend. Ihr Brüllen dröhnte in seinem Kopf. Der mutige Gefreite, Titus Annius, drängte sich dazwischen. Dieser Mann durfte nicht in die Hände der Barbaren geraten, er hatte ihm schon einmal das Leben gerettet. Durch einen harten Schlag auf die Kruppe hatte er Annius’ Pferd fortgejagt. Inständig hoffte Caldus, das durchgegangene Tier möge den Mann außer Gefahr gebracht haben, die Schuld möge beglichen sein, Leben um Leben.
    Oder falls er den Tod gefunden haben sollte, dann einen ehrenhaften, weder in solch schändlichen Ketten noch
durch Martern, denen die gefangenen Soldaten unterzogen wurden, bis sie kreischten und flennten.
    Ein Stoß weckte ihn unsanft. Rasselnd lösten sich die Ketten, dass er haltlos in die Arme eines Barbaren sackte, der ihn auf die Füße stellte, aber nicht losließ. Ohne diese Stütze wäre Caldus augenblicklich zu Boden gesunken, bevor der andere Mann die Ringe um die Fußknöchel hätte lösen können. Ein dritter, ein Junge im langen weißen Kittel, bestrich die verkrusteten Wunden mit duftender Salbe und umwickelte sie mit dünnen weißen Wollbinden. Verwirrt nahm Caldus hin, dass ihm anstelle der Eisen nun Lederriemen als lose Fesseln angelegt wurden. Ein Greis im ungegürteten grauen Gewand trat murmelnd vor ihn und malte mit dem Daumen ein Zeichen über seiner Nase.
    Caldus kämpfte gegen den Schwindel. Man flößte ihm Wasser ein, dann einen Holzlöffel voller Honig, der klebrig auf der Zunge lag und in den etwas Bitteres gemischt war. Er würgte, um das Zeug auszuspeien, doch starke Hände packten ihn und hielten ihm den Mund zu. Er war zu entkräftet, um sich gegen die Gewalt aufzubäumen, und schluckte widerwillig. Der Greis tätschelte ihm die Wange, begab sich zum nächsten Gefangenen, der wütend mit seinen Peinigern rang.
    »Kein Gift«, sagte der Junge, der bei Caldus geblieben war. »Macht

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