Varus - Historischer Roman
Römer würden diesen Aufstand mit ebenso harter Hand beantworten wie die in den vergangenen Jahren, daran hatte sie keinen Zweifel.
»Es ist eine schlimme Zeit«, sagte Radewiga leise. »Wir sitzen in unserem Versteck, leiden Not, warten auf unsere Männer und hoffen, dass sie wenigstens überlebt haben.«
»Sie haben den Soldaten sehr zugesetzt. Wir waren ja dort. Sie haben schreckliche Dinge …« Thiudgif biss sich heftig auf die Unterlippe, weil ihr die Worte unwillentlich über die Zunge gerutscht waren.
»Es herrscht Krieg zwischen uns und den Römern, da geschehen schreckliche Dinge.«
Den versteckten Tadel nahm Thiudgif schweigend hin. Radewigas Wohlwollen wollte sie sich auf keinen Fall verscherzen. Erleichtert bemerkte sie, dass auf den Zügen der Frau ein Lächeln erschien.
»Eine von uns stammt aus einem Dorf in der Nähe von Aliso. Sie wird euch den Weg beschreiben. Zu unserem Versteck werden wir euch nicht führen, das ist zu gefährlich. Aber ich werde dir diese Frau schicken und ihr sagen, sie solle euch Orte für wenigstens ein Nachtlager nennen.«
Thiudgif berührte den Arm der Frau. »Hab Dank, Radewiga. Ich werde das nicht vergessen.«
»Bete für meine Kinder, besonders«, sie legte die Linke auf ihren vorgewölbten Leib, »für das noch ungeborene.«
Die Frau, die Radewiga geschickt hatte, um Thiudgif den Weg zu erklären, hatte ihnen mehrere Rastplätze genannt. Sie war einige Male nach Aliso gewandert, kannte jeden Stein und
jeden Strauch auf dem Weg und beschrieb alles sehr genau. Thiudgif zog Thiaminus und Privatus hinzu, übersetzte ihnen mühsam die Worte der Frau, damit zumindest die Männer auch eine Vorstellung vom Weg hatten. Drei harte Tage lagen noch vor ihnen, die wenigen Dörfer und Fluchtburgen mussten sie meiden, aber auch in den Wäldern zwischen den Äckern und Weiden achtgeben, damit sie nicht versteckten Dörflern in die Arme liefen.
Beim Abschied übergab Radewiga Thiudgif einen Bogen und einen Köcher voller Pfeile.
»Den wirst du brauchen«, sagte sie. »Ich hoffe, du kannst damit umgehen.« Dann zeichnete sie ihr einen Segen auf die Stirn und schob sie von sich.
Thiaminus ging dem kleinen Zug voran, während Thiudgif stehen blieb und zurückschaute. Die Barbarenfrauen und deren Kinder blickten ihnen argwöhnisch nach, besonders Radewigas Sohn, der nun seiner Waffen verlustig gegangen war. Amra und Sura hatten im Gebüsch verborgen ausgeharrt, wo Thiudgif sie verlassen hatte. Das Mädchen hatte aus Angst und Entkräftung geweint, und Amras Augen waren trotz aller Erleichterung dunkel umschattet; sie bewegte sich schleppend und seufzte leise, als Thiudgif ihr mitteilte, dass sie noch eine weite Strecke zu gehen hatten.
Kurz vor Sonnenuntergang erreichten sie den bezeichneten Lagerplatz, eine Niederung an einem Teich zwischen Röhricht und Wald, wo Sura stumm zu Boden sank, während die anderen sich am Wasser wuschen, ihre Kleidung reinigten, ja, sogar lachten und scherzten. Eine der jüngeren Huren legte ihre Kleider ab, stieg in das hüfttiefe Wasser und schäkerte unverhohlen mit Thiaminus, der darüber tief errötete, die übrigen Weiber kicherten und rissen Zoten. Thiudgif rief den Freigelassenen zu sich und hieß ihn, nahe
beim Waldrand das Holz für die Feuerstelle aufzuschichten, während vom Teich die Stimmen und leises Plätschern herüberklangen. Als Thiudgif Funken schlug und eine erste Glut im Zunderschwamm anfachte, hielt er seine Hände schützend um das Feuer, damit der sachte Abendwind es nicht gleich auslöschte. Sie fing den Brand mit verdorrtem Moos und dürrem Reisig auf, bedeckte dieses mit dünnen Ästen, die bald aufglühten und Wärme verbreiteten.
Es dauerte nicht lange, da versammelten sich alle dicht um die Herdstelle, und es roch nicht mehr nur nach Schweiß und Schmutz, sondern nach Teichwasser und frischem Gras. Über ihnen trockneten an den Zweigen einige Kleider und Mäntel, und unter der leise knisternden Glut wurden die Steine heiß, auf denen Thiudgif und Amra später die Fladen backen wollten. Noch waren sie damit beschäftigt, das Korn, das sie an den Feldrainen im Vorübergehen geerntet hatten, von den Spelzen zu befreien und zwischen anderen Steinen zu schroten. Ein gereinigter Lederbeutel diente als Topf, in dem das Schrot mit Wasser zu einem Teig aufgeschlossen wurde.
Später, als ein schmaler Mond am Himmel stand und die Landschaft mit silbrigem Licht bestrich, brachte Thiudgif zwei der harten, noch warmen Fladen
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