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Varus - Historischer Roman

Titel: Varus - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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nicht in die Hand der Feinde fallen durfte, nachdem sein Leichnam durch ein sinnloses Selbstopfer zur Beute geworden war. Annius biss die Zähne zusammen und lief weiter. In der Nacht würde er Zeit haben, sich zu erholen.
    Unterhalb der Siedlung stießen sie auf einen Fluss, breiter als der vorige, der sich irgendwann in den Sümpfen verloren hatte. Ihr Weg mündete in andere Wege ein, und sie irrten eine Weile umher, bevor sie eine Furt durch den Fluss fanden. Die Ebene zog sich hin, brachliegende Felder wechselten sich mit sumpfigen Weiden und weiten Mooren, der Weg war teils hartgetreten, teils mit Bohlen befestigt. Sie fanden nur wenige Spuren, die mehrere Tage alt und vom Regen verwaschen waren, was ihnen ein Gefühl der Sicherheit gab. Als die Sonne hinter den Horizont tauchte, befanden sie sich noch immer inmitten einer flirrenden Schilflandschaft, über die sich wie ein feines Netz das Zirpen der Grillen legte.
    Sie warteten, bis der Mond hoch genug gestiegen war, dass sein kaltes Licht den Weg wies. Dann setzten sie ihre Reise fort, gingen dicht hintereinander. Das Atmen der anderen, ein gelegentliches Räuspern oder Husten beruhigte Annius. Niemand sprach. Seit Stunden hing jeder seinen Gedanken nach. Die Geister der Verlassenen riefen aus der Entfernung, klagten Feigheit an und forderten, was ihnen zustand. Als Annius plötzlich in völliger Finsternis stand, erschrak er, doch die schwarzen Schatten ringsum waren keine Geister, sondern Bäume. Sie hatten den Wald erreicht.

    Das Sonnenlicht tanzte zwischen den grauen Stämmen, als Annius und Sabinus auf der Suche nach Feuerholz durch den lichten Buchenwald streiften. Annius äugte wachsam umher, denn viel Reisig war nicht zu finden; hier sammelten bereits andere, die Feuer zu erhalten hatten, vereinzelt hatten sie sogar Fußstapfen hinterlassen.
    »Sie fühlen sich sehr sicher«, murmelte Sabinus, als Annius am Boden kauernd einen der Fußabdrücke im weichen Lehm betastete.
    »Der Wald bietet dem, der sich darin auskennt, für kurze Zeit ausreichend Schutz und Nahrung - zumindest solange das Wetter mitspielt. Auch im Illyricum und in der Pannonia sind die Leute oft in Gegenden geflüchtet, die für die Legionen unzugänglich waren. Das hat sie gerettet.« Langsam erhob er sich und verfolgte die Spuren mit den Augen bis zu der Stelle, wo sie im Unterholz verschwanden. »Ich hoffe, Blaesus und Venicius sind auf der Pirsch vorsichtig.«
    »Du meinst, damit die Jäger nicht unversehens zu Gejagten werden?«
    Annius nickte. »Wir sollten uns nicht allzu weit vom Lagerplatz entfernen.«
    Sie klaubten das wenige Holz auf, das sie im Laub fanden, prüften es und warfen das meiste wieder weg, weil es feucht war. Die brauchbaren Stücke sammelten sie in Sabinus’ Umhang, den dieser zu einem Bündel geschnürt und an den Tragsattel des Maultiers gebunden hatte.
    Plötzlich richtete Sabinus sich auf, stand ganz still.
    »Was ist?«, fragte Annius, der die Gelegenheit nutzte, sein wehes Bein zu entlasten.
    »Hörst du nichts?«
    Lauschend hob Annius den Kopf. Der Wind rauschte leise in den Bäumen, ließ das Laub am Boden rascheln, Vögel
zwitscherten, dazwischen ein einzelner spitzer Laut aus weiter Ferne. Eisen auf Eisen. Sie wechselten einen raschen, erschrockenen Blick, dann rannte Sabinus los, dem Geräusch nach, während Annius nach der Leine des Maultieres griff und hinterherhumpelte. Doch das Tier machte keine Anstalten, sich zu beeilen, und ließ sich auch nicht durch Schläge mit der Leine bewegen, schneller zu laufen. Bald war Sabinus weit voraus, und die Kampfgeräusche wurden lauter, bis sie plötzlich aufhörten.
    In dem Hohlweg, der zu ihrem Rastplatz führte, war Sabinus stehen geblieben und schien angestrengt zu lauschen. Annius rieb sich das schmerzende Knie. Außer dem Rauschen der Blätter war nichts zu hören. Er hinkte weiter, doch kurz bevor er Sabinus erreichte, wandte sich dieser zu ihm um und rannte ihm entgegen. Als Annius den Mund öffnete, presste Sabinus eine Hand darauf, stieß leise und eindringlich die Bitte hervor, still zu sein, still! Aufgebracht stieß Annius ihn von sich, stürzte zum Hohlweg, doch Sabinus brachte ihn mit dem Fuß zu Fall, drückte ihn zu Boden, presste die Hand auf seine Lippen, sie rangen stumm und verzweifelt, bis Annius die Umklammerung abschüttelte. Ein Fausthieb holte Sabinus von den Füßen und schleuderte ihn beiseite.
    Seinen Schmerzenslaut missachtend stolperte Annius hinunter zu ihrem Rastplatz, doch

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