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Varus - Historischer Roman

Titel: Varus - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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Sabinus gelang, das Tier zu beruhigen.
    Widerwillig kehrten sie zum Bohlenweg zurück, wo Blaesus und Venicius sich entboten vorauszulaufen, um das Dorf und seine Umgebung auszukundschaften.
    »Mutige Kerle«, sagte Sabinus, während sie den beiden folgten. »Sie haben mir erzählt, wie du ihnen während des Gefechtes abhanden kamst.«
    Annius heftete den Blick auf den Boden und kaute auf der Unterlippe. Es kränkte ihn tief, dass er im Durcheinander seine Kameraden im Stich gelassen und nicht einmal dem Tribun Caldus hatte helfen können, als dieser in die Hände der Barbaren gefallen war.
    »Sie waren ziemlich überrascht, als du auf dem Wall vor ihnen standst.« Leise lachend tätschelte Sabinus Annius’ Rücken. »Am Ende haben wir uns alle gefunden und sind aus der Klemme entwischt.«
    »Ich frage mich, ob es nicht besser gewesen wäre, dort gefallen zu sein.«
    »Was redest du da? Es mag heldenhafter erscheinen, seine Pflicht bis zum Letzten zu erfüllen, aber was hätte es noch geholfen? Glaubst du an den Mist, dass es süß und ehrenvoll sei, fürs Vaterland zu sterben wie die Spartaner, die entweder
lebend mit dem Schild in der Hand oder tot auf dem Schild liegend zu ihren Müttern zurückkehren durften? Da lobe ich mir doch diesen Griechen, der das gute Stück in aussichtsloser Lage fallen ließ und Fersengeld gab … wie hieß er noch?«
    »Archilochos«, brummte Annius. »Er war ein gedungener Söldner, kein Soldat.«
    »Und wir beide und deine Freunde, wofür kämpfen wir hier? Fürs Vaterland etwa?«
    »Wir kämpfen zumindest dafür, dass nie mehr marodierende Barbarenhorden über die Alpen kommen und unsere Heimat plündern.«
    »Du glaubst also an diese uns vom Schicksal übertragene Aufgabe, Frieden zu schaffen und den Völkern Gesetze zu geben?«
    Verärgert rollte Annius die Augen gen Himmel, schwieg jedoch, obwohl das Gespräch eine Richtung nahm, die ihm nicht gefiel.
    »Was ist eigentlich mit deinem Mädchen geschehen?«, fragte Sabinus unversehens und versetzte Annius damit einen Stich in die Brust.
    »Sie war im Tross …«
    »Gute Götter!« Sabinus war mit dem Maultier stehen geblieben und starrte Annius, der sich nach ihm umwandte, erschrocken an. »Du wirst sie niemals wiedersehen.«
    Mit einem müden Nicken ging Annius weiter. Ihm war nicht nach bedrückenden Erinnerungen, denn einmal angelockt ließen sich diese ungebetenen Gäste nicht mehr vertreiben. Thiudgifs blasses, mageres Gesicht mit den hellen Sommersprossen, ihre schmale Nase, die Augen, deren Farbe er schon nicht mehr benennen konnte, ihr kupferfarbenes Haar, die Grübchen, die sich neben ihren Mundwinkeln
bildeten, wenn sie lächelte, die makellosen weißen Zahnreihen - sie war noch so jung …
    »Sie wird schlau genug sein, den Barbaren weiszumachen, dass sie sie aus der Sklaverei befreit haben.«
    Sabinus hatte zu ihm aufgeschlossen, ging nun neben ihm, doch Annius schwieg beharrlich und richtete den Blick starr auf den Hügel, der sich vor ihnen erhob und hinter dem sich ein breiter Streifen blauen Himmels erstreckte. Auf dem flachen Hang und über den Dächern regte sich nichts, weder die hellen Flocken von Gänsen oder Schafen noch dünne Rauchfäden von Herdfeuern. Annius blieb stehen, verengte die Augen, um die Siedlung genauer nach Leben abzusuchen.
    »Da oben ist niemand«, sagte er schließlich.
    Das Gleiche meldeten bald darauf auch Blaesus und Venicius, die sie im Schutz einiger beschnittener Korbweiden erwartet hatten.
    »Wenn die Leute sich versteckt halten, sind die Siegesnachrichten wohl noch nicht bis hierher vorgedrungen«, fügte Blaesus nachdenklich hinzu. »Also können wir uns wahrscheinlich unbemerkt an diesen Burgen vorbeischleichen.«
    »Aber in den Wäldern könnten wir unversehens auf die Verstecke der Barbaren stoßen«, entgegnete Annius, »und auf den Wegen von Barbarentrupps überrascht werden, die die Nachricht verbreiten.«
    »Dann sollten wir uns beeilen, damit die Nachricht uns nicht allzu bald einholt«, schloss Sabinus und setzte sich mit dem Maultier an die Spitze ihrer kleinen Gemeinschaft.
    Schweigend marschierten sie weiter, verfielen, als der Weg nicht mehr aus alten, faulenden Bohlen, sondern aus festgestampftem Lehm bestand, in einen leichten Trott, der
Annius zu schaffen machte. Dennoch ertrug er die Pein; auf einem knochigen Maultierrücken durchgeschüttelt zu werden, war auf Dauer kaum angenehmer. Er musste durchhalten, er trug das Vermächtnis des Statthalters bei sich, das

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