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Varus - Historischer Roman

Titel: Varus - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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schon auf halbem Wege erstarrte er. Der Boden war aufgewühlt, am Ausgang des Hohlwegs lag ein Mann auf dem Bauch, nackt bis auf Schurz und Hemd, das bis zu den Rippen aufgerollt war. Aus dem Rücken ragte ein abgebrochenes Holz und das Hemd war dunkel verfärbt. Einen zweiten Mann sah Annius am anderen Ende der kleinen Lichtung, hingeworfen wie ein Spielzeug. Fröstelnd rieb er sich die Arme. Erst vor wenigen Stunden hatten sie sich unter aufmunterndem Schulterklopfen und
Scherzen verabschiedet, als Blaesus und Venicius zur Jagd aufgebrochen waren. Hastig eilte Annius den Weg hinunter, fiel neben dem ersten, Blaesus, auf die Knie, tastete am Hals nach einem Puls. Der Körper war warm, das Blut, das noch immer ins Hemd sickerte, glänzte nass, aber das Leben war schon geflohen. Verstört näherte er sich Venicius, dessen Glieder beim Sturz völlig verrenkt worden waren und der mit einem Ausdruck des Erstaunens ins Leere starrte. Für einen Augenblick fürchtete Annius, aus dem Gebüsch ringsum feindselig beobachtet zu werden. Als er zum Hohlweg blickte, wurde ihm klar, dass Sabinus ihm nicht gefolgt war. Er spähte nach allen Seiten, rannte wieder in den Wald hinauf, wo Sabinus mit angespannter Miene an eine Buche gelehnt dastand und beide Hände in den Rücken stemmte.
    »Verfluchter Narr!«, stieß er hervor. »Hättest du nicht besser aufpassen können?«
    »Sie sind tot!«, sagte Annius nur.
    »Das hab ich gesehen, ich bin ja nicht blöde!« Sabinus taumelte vorwärts und fiel ihm kraftlos in die Arme.
    »Was …?«
    »Irgendeine verdammte Wurzel. Es tut weh, aber ich werde es überleben«, knurrte Sabinus. »Wir müssen zusehen, dass wir weiterkommen.«
    Er schnalzte nach dem Maultier, das mit einem Schnauben näher kam. Als er die Leine ergriff, sah Annius das Blut an seinen Fingern.
    »Du bist -«
    »Verletzt - ja, ein Kratzer. Nichts Schlimmes! Machen wir, dass wir hier verschwinden, nachdem wir unsere Freunde notdürftig bestattet haben. Das sind wir ihnen schuldig!«

    Thiaminus, der ein Stück vorausgegangen war, rannte ihnen entgegen. Angst und Aufregung waren ihm schon von weitem anzusehen.
    »Aliso wird tatsächlich belagert«, keuchte er. »Wir können nicht hin.«
    »Das wird sich zeigen«, entgegnete Thiudgif und schlug verärgert mit ihrem Wanderstab auf den Boden. Als Amra die Neuigkeit erfuhr, ließ sie die Schultern hängen. Thiudgif wischte sich den Schweiß von der Stirn, stemmte dann die Hand auf die Hüfte.
    »Wir sind drei Tage gelaufen!«, schimpfte sie. »Wir werden jetzt nicht aufgeben, so kurz vor dem Ziel.«
    »Vielleicht musst du ja gar nicht hinein«, sagte Amra. »Vielleicht kannst du dich in dein Vaterhaus retten.«
    »Vielleicht - das ist leider sehr unsicher. Aber du hast recht, ich weiß, wohin ich gehen müsste, sobald wir Aliso erreicht haben.«
    »Wir haben weniger als eine Meile vor uns«, mischte sich Thiaminus ein. »Aber zwischen uns und dem Lager befindet sich eine große Schar Barbaren. Ich konnte mich an ihnen vorbeistehlen, aber ob wir gemeinsam dieses Glück haben werden, bezweifle ich.«
    Thiudgif verzog unwillig das Gesicht. Drei Tage lang hatte sie immer wieder darüber gegrübelt, ob sie die anderen vor Aliso verlassen sollte, um sich zu ihrem Vaterhaus durchzuschlagen, doch jetzt, als sie Amra ins Gesicht sah, in dem die tiefe Sorge um ihre Tochter geschrieben stand, erschien ihr allein der Gedanke wie Verrat. Sie kämpfte gegen die wehmütigen Erinnerungen ans Gänsehüten - das dürfte sie ohnehin nicht mehr tun; stattdessen würde ihr Vater sie schleunigst aus dem Haus schaffen. Denn auch wenn man ihre Heimkehr vielleicht zunächst feiern würde, war ihre
Reinheit nicht mehr über jeden Zweifel erhaben. Sie würde darüber jubeln müssen, die Frau eines Witwers zu werden oder eine Kebse, sie würde die Kinder einer anderen großziehen, während die eigenen ohne Aussicht auf ein Erbe blieben, oder Gespielin sein für die Tage, an denen die Herrin des Hauses unpässlich wäre.
    Heftig brodelte der Zorn in ihr, und sie spie ungestüm aus, so ungestüm, dass alle sie verwundert anschauten. Kopfschüttelnd wandte sie sich ab, winkte ihnen, ihr nicht zu folgen, und schlug sich seitlich in den Wald. Nachdem sie erledigt hatte, wonach ihr schneller Weggang ausgesehen hatte, nämlich Wasser lassen, hockte sie sich auf das knotige Wurzelwerk einer alten Hainbuche und barg das Gesicht in den Händen. Aller Mut, alle Tapferkeit waren verschwunden, als hätte jemand eine

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