Varus - Historischer Roman
Säcke
und Kisten mit Vorräten zu verladen. Ihre Stimmen hallten in dem riesigen Gebäude wider, der Geruch des Getreides raubte ihm den Atem, Staub vernebelte die Luft, kitzelte in der Nase und trocknete den Mund aus. Lange hatte er damit gewartet, für das Mädchen und sein Gepäck einen Platz im Tross zu finden, nun war es vielleicht zu spät. Oder es würde teuer werden, und dann konnte er sie ebenso gut laufen lassen, denn auch um einen Käufer zu finden, reichte die Zeit wohl nicht mehr. Zumindest nicht dafür, einen zu finden, dem er sie guten Gewissens anvertrauen konnte. Irgendeinen fand man immer bei einem so jungen Ding, aber lieber würde er sie laufen lassen. Obwohl selbst das keine Lösung war, denn was blieb einem Mädchen, das weit weg von zu Hause in einer Siedlung wie dieser ausgesetzt worden war? Er schüttelte den Kopf, als könnte er sich damit von den Gedanken befreien, die unweigerlich aus dieser Feststellung folgten. Es würde schon irgendwie gut gehen.
Einer seiner Kameraden, dem er das anzügliche Grinsen am liebsten aus dem Gesicht geprügelt hätte, hatte ihm schließlich den Namen eines Gefreiten im Trossdienst genannt, der ihm vermutlich weiterhelfen könnte.
Er schaute sich im trüben Zwielicht um, sprach einen der Träger an. »Quintus Statilius suche ich.«
Der Mann wies mit einem Rucken des Kopfes hinter sich. »Der Grauhaarige dahinten«, brummte er und keuchte unter der Last der Kiste auf seiner Schulter. »Der mit der blauen Tunica und der großen Nase.«
Annius bahnte sich einen Weg zwischen den Männern, und wenn sein Blick ein blaues Hemd fand, spähte er nach der Nase im dazugehörigen Gesicht. Endlich entdeckte er in der Nähe eines Hinterausgangs einen älteren Mann, der in die Durchsicht von Wachstafeln vertieft war und dessen
Nase wie ein Mauervorsprung aus einem ansonsten platten, abgestumpft wirkenden Gesicht ragte.
»Quintus Statilius?«
Der Mann blickte ihm entgegen. »Was gibt es?«
Annius stellte sich kurz vor, bevor er auf sein Anliegen zu sprechen kam. »Ich brauche einen Platz im Tross für ein Mädchen und ein bisschen Gepäck.«
»Da musst du meine Frau fragen, die regelt das«, erwiderte der Mann und senkte seine Nase wieder in die Wachstafeln.
»Und wo finde ich deine Frau?«
»Sie wohnt neben der Taberna des Volutus. Frag nach Flavia Amra.«
Verdrossen machte Annius kehrt und beeilte sich, zum Haupteingang zurückzukehren. Die Taberna des Volutus war eine beliebte Anlaufstelle für Soldaten, die zwischen Feierabend und Torschluss ein schnelles Vergnügen suchten. Volutus’ Schankmädchen waren billige Viertelashuren, die unverzüglich zur Sache kamen und sich sauberer hielten als die Weiber in anderen Lupanaren. Das verhieß nichts Gutes für Rufilla.
Als er die Tür neben dieser Taberna nach kurzem Anklopfen aufdrückte, wäre er beinahe gegen eine Frau geprallt, die aus großen, schwarzen Augen zu ihm aufsah. Sie mochte im vierten Lebensjahrzehnt stehen, eine kleine, zierliche Frau, die so gar nicht in diese Nachbarschaft passte. Sie war von Kopf bis Fuß in einen dunklen Mantel eingehüllt, unter dem das streng zurückgekämmte Haar verschwand.
»Ich suche Flavia Amra, die Frau des Quintus Statilius.«
»Du stehst vor ihr«, entgegnete sie ein wenig schroff. Ihre Stimme war ungewöhnlich dunkel, und ihrem Tonfall nach stammte sie aus dem Osten des Imperiums. Mit wenigen Worten stellte er sich vor und nannte seinen Wunsch.
»Ich habe keinen Platz für Huren«, war die Antwort.
Als sie versuchte, sich an ihm vorbeizuschieben, verstellte er ihr den Weg.
»Rufilla ist keine Hure!«
»Nicht?« Die Frau verengte die Augen. »Ich habe eine Tochter und eine Sklavin. Wir sind anständige Leute. Ich will kein Luder bei mir haben, das den Lumpen rundum schöne Augen macht und uns Schande.«
»Sie ist einfach nur ein Mädchen. Eine Sklavin. Ich …« Er biss sich auf die Unterlippe. Dass er sie einem verrufenen Sklavenhändler beim Würfelspiel abgeluchst hatte, gälte vor dieser Frau sicherlich nicht als Empfehlung. »Ich möchte, dass sie die Reise wohlbehalten übersteht.«
»Ich will sie sehen.« Amra langte nach einem Korb, der auf einem Bord neben der Tür stand; dabei entblößte sie einen schlanken Unterarm mit einem dicken bronzenen Armreif, in dem Münzen klingelten. »Am besten jetzt gleich. Ich bin ohnehin auf dem Weg zum Markt.«
Annius war unwohl bei dem Gedanken, diese Frau, die ihn unverwandt ansah, zu dem schäbigen Kämmerchen
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