Varus - Historischer Roman
da!«
Opimius, der am Wegrand ging, deutete voraus. Zwischen den Standarten und Wimpeln erkannte Caelius den Schemen eines Hügels und nickte befriedigt, bevor er sich wieder in die Liste vertiefte, die letzte für heute, so hoffte er. Doch er hatte noch keine fünf Zeilen gelesen, als jemand seinen Namen rief; ein stämmiger Praetorianer grüßte stramm und setzte sich neben ihm in Bewegung, da Caelius keine Anstalten machte, sein Pferd anzuhalten.
»Publius Quinctilius Varus wünscht deine Gegenwart«, schnarrte der Mann.
»Sofort?«
»Sofort«, entgegnete der Soldat knapp, nickte noch einmal und trabte voraus zu den Offizieren.
Caelius setzte sich im Sattel zurecht, verständigte sich wortlos mit seinen Unteroffizieren, blickte dann zu dem goldenen Adler auf, den der Aquilifer neben ihm trug, und beugte den Nacken, ehe er das Pferd an den Rand des Weges lenkte und vorwärtstrieb. Bald darauf erreichte er den großen Reisewagen des Statthalters, dessen mannshoher Wagenkasten quietschend in den Riemen schaukelte. Als Caelius den verhängten Eingang an der Seite des Wagens erreichte, brachte er sein Pferd mit einem Laut zum Stehen, von dem er wusste, dass er dem Statthalter seine Ankunft verraten würde. Der Wagen hielt an, einer von Varus’ jungen
Volontariern kletterte heraus und bedeutete Caelius stumm, aber nachdrücklich, einzusteigen.
Der Statthalter saß auf der dick gepolsterten hinteren Bank, beendete die Förmlichkeiten mit einer huldreichen Geste und wartete, bis Caelius sich ihm gegenüber niedergelassen hatte. Ein kleiner Sklave, der in dem halbdunklen Fahrzeug kaum noch Platz fand, versorgte sie mit Wein und Früchten. Caelius’ Ferse stieß gegen etwas Hartes; unter den gesteppten Seidendecken auf Varus’ Seite lugte ebenfalls dunkles Holz hervor, funkelten schwere Beschläge. Sie sa ßen auf der Soldkasse, einem Vermögen, das auf keinen Fall in die Hände der Aufständischen fallen durfte.
»Marcus Caelius, du bist ein kriegserfahrener, kampferprobter und tapferer Mann«, begann Varus. »Deshalb brauche ich deinen Rat.«
Caelius, der die Hände auf die Oberschenkel gelegt hatte, erwiderte schweigend den Blick des Statthalters. Der Helm, den er an seinen Gürtel gebunden hatte, drückte ihn schmerzhaft, aber er ließ sich nichts anmerken.
»Regnet es?«, fragte Varus.
»Jetzt nicht, aber das ist nur ein Atemholen«, erwiderte Caelius, der sich über diese Plauderfrage nicht wenig wunderte.
»Du weißt, warum ich das frage. Sie greifen im Regen an, weil das für sie von Vorteil ist. Die Ausrüstung der Legionäre wird durch Nässe schwer, das hemmt die Beweglichkeit. Und wenn die Angreifer sich dann von einem Hang herab oder aus dem Schutz des Waldes auf unsere Männer stürzen …« Er verstummte, als hätte er bemerkt, dass sich Caelius’ Miene während seines Vortrages zunehmend verhärtet hatte. »Hab Nachsicht, Marcus Caelius. Ich bin meinen Gedanken nachgehangen. Du weißt all das viel besser als ich,
und dir einen Vortrag darüber zu halten, kommt einer Beleidigung gleich.«
Varus hob seinen Kelch, trank Caelius zu, der pflichtschuldig am Wein nippte.
»Arminius hat die verteilten Truppen inzwischen zusammengeführt und zieht voran zu dem Ort, an dem wir unsere Kräfte vereinen werden, um die Aufständischen im Herzen ihres Rückzugsgebietes aufzureiben. Das ist das Letzte, was wir erfahren haben, denn die Botenkette ist erneut abgerissen. Ich vermute, dass die Banden, die uns auf dem Marsch zu schaffen machen, auch die Boten abfangen.«
»Das ist wahrscheinlich«, sagte Caelius, als er nach kurzem Schweigen argwöhnte, man erwarte eine Antwort von ihm.
»Wir müssen schnellstmöglich vorankommen, Marcus Caelius. Ich befürchte, dass die Kräfte der Barbaren erstarkt sind, da sie auf dem Land eines anderen Stammes Angriffe führen. Immerhin sind wir hier noch im Gebiet der Cherusker, die unseren Frieden und unsere Gesetze angenommen haben - es sind die Brukterer, die einfach keine Ruhe geben.«
»Was, wenn ein Teil der Cherusker sich dem Aufstand angeschlossen hätte?«, wandte Caelius vorsichtig ein.
Varus lehnte sich in die Polster zurück. »Das ist unmöglich. Die Cherusker sind uns treu verbunden. Nicht einmal dieser Segestes käme auf solch einen Gedanken.« Er rieb sich nachdenklich das Kinn. »Einen Teil der wehrfähigen Männer habe ich mit Segestes zurückgelassen, die anderen sind in mehreren Alen und Cohorten gebunden. Wahrscheinlich haben die Cherusker im
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