Varus - Historischer Roman
eigenen Land kaum noch Kräfte, die eindringenden Banden zu bekämpfen.«
Eine Weile ließen sie sich schweigend vom Wagen schaukeln,
und der frisch gefüllte Silberkelch pendelte in Varus’ Hand, dass der Wein über den Rand zu schwappen drohte. Von draußen drang Hufgetrappel herein, übertönte das Dröhnen der hinter ihnen marschierenden Legion.
»Sag mir, Marcus Caelius, wie würdest du vorgehen, wenn du in diesen Stiefeln stecktest?« Varus deutete auf sein Schuhwerk aus feinstem rotem Leder, Abzeichen senatorischer Würde.
Ohne lange nachzudenken, atmete Caelius tief durch und leerte seinen Kelch, bevor er zu sprechen begann. »Ich würde alle Truppen sofort in Kampfbereitschaft versetzen und in einem Lager zusammenziehen, Wall und Graben befestigen, mich gewissermaßen einigeln und warten, bis der Feind sich entweder der Entscheidung stellt oder, was in diesem Fall wahrscheinlicher ist, abzieht. Zöge er ab, würde ich ihn in Eilmärschen verfolgen und zu stellen versuchen.«
Erleichtert, seine Meinung kurzgefasst ausgesprochen zu haben, ließ er zu, dass der kleinwüchsige Sklave ihm nachschenkte, während Varus ihn wortlos ansah. Doch je länger der Statthalter eine Antwort hinauszögerte, desto unbehaglicher wurde Caelius, er spürte den Helm an seiner Hüfte deutlicher, als ihm lieb war, und widerstand nur mühsam dem Drang, ein wenig beiseitezurutschen.
»Du kannst dir sicher denken, dass du nicht der Einzige bist, der so handeln würde«, sagte Varus schließlich. »Es bleibt zu bedenken, dass wir ohnehin Verzögerungen durch den großen Tross hinnehmen müssen. Je schneller wir ins Gebiet der Aufständischen vorrücken, desto früher ist das Übel bei der Wurzel gepackt. Jeder Tag, den wir uns hier mit diesen Banden beschäftigen, wird uns dann fehlen.«
»Das mag sein, Publius Quinctilius, aber wir verlieren Männer. Einige Angriffe waren verheerend, die Marschordnung
ist durcheinandergeraten, zur Nachhut haben wir derzeit gar keine Verbindung mehr.«
»Ich werde entscheiden, sobald die Verluste bemessen sind«, antwortete der Statthalter. »Und glaube mir, ich werde deine und die Meinung anderer, die wie du denken, dabei berücksichtigen.«
Dass der Statthalter sich leicht verneigte und dann eine Schriftrolle zur Hand nahm, um sich darin zu vertiefen, erkannte Caelius als Verabschiedung. Er erhob sich, trat zum Eingang und schob den schweren ledernen Vorhang beiseite, blieb jedoch stehen und drehte sich nochmals um.
»Ich würde zumindest jeweils den gesamten Tross der einzelnen Legionen ins Marschlager aufnehmen«, sagte er vorsichtig. »Obwohl es nicht üblich ist, dürfte es der Stimmung unter den Männern zuträglich sein, wenn sie ihre Familien und ihre Habseligkeiten geschützt sehen.«
Varus musterte Caelius, während er fortfuhr, mit den Fingern über sein Kinn zu streichen; schließlich nickte er langsam, aber ohne eine Miene zu verziehen, und widmete sich wieder dem Buch.
Als Caelius sich dem Tross der Achtzehnten näherte, eilte ihm ein Trossknecht auf einem Maultier entgegen, dessen finstere Miene Caelius Schlimmes befürchten ließ. Kurzerhand hieß er den Mann anhalten.
»Reiter haben den Tross überfallen«, berichtete der Knecht gehetzt. »Nicht die Ausrüstung, die wird ja bewacht, aber sie haben mehrere Männer verletzt, zwei getötet und einige Frauen und Kinder verschleppt.«
Caelius drückte seinem alten Pferd die Fersen in die Flanken, dass es nach einigen unwilligen Sprüngen losgaloppierte. Bei den Lastwagen, die schweres Gerät, zerlegte Geschütze
und Vorräte beförderten, herrschte Aufregung wegen ein paar verirrter Pfeile. Die Knechte hielten sich dicht bei Wagen und Zugtieren auf und spähten unruhig umher. Der hintere Teil des Trosses, in dem die Angehörigen der Soldaten reisten, war zum Stillstand gekommen. Mehrere Wagen waren umgestürzt, von Pfeilen und Spießen getroffene Maultiere lagen herum, manche keilten blindlings aus oder wälzten sich hilflos im Morast. Frauen irrten klagend zwischen den Wagen umher, einige hatten im Schlepptau eine greinende Kinderschar.
Es war gespenstisch. Die Barbaren tauchten aus dem Nichts auf, fielen über kleine Truppenteile her wie Marder über ihre Beute, doch ebenso schnell ließen sie wieder ab und verschwanden in den Wäldern. Teile der Reiterei waren ständig damit beschäftigt, diese kleinen Scharen zu verfolgen, und wurden offenbar nur in die Irre geführt. Auch jetzt sah Caelius sie wieder unverrichteter
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