Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)
bliebe dir nur der Part des Gefängniswärters. Aber geschlagen gibst du dich nicht, das ist nur ein strategischer Rückzug. Soll sie ruhig denken, sie hätte diesen Punkt gemacht.
»In Ordnung«, antwortest du. »Wie du willst.«
Ohne Elisa riecht es ganz anders im Haus. Auch das Licht ist anders, vielleicht weil jeder Mensch die Rollläden auf seiner ganz individuellen Höhe lässt. Die Erkennungsmelodien im Fernsehen sind andere, da du es nur einschaltest, um die Stille zu vertreiben. Sogar das Ticken der Küchenuhr klingt nicht so wie sonst.
Aber du hast nicht einen Kredit mit dreißigjähriger Laufzeit aufgenommen, um dann allein in diesem Einfamilienhaus zu hocken. Elisa kann nicht dir die ganze Last der Familie aufbürden.
In der ersten Nacht wachst du um vier Uhr auf, gehst in die Garage und widmest dich den Chromteilen an deinem Spider.
In der zweiten Nacht erlaubst du Caterina, bei dir im großen Bett zu schlafen. Um Viertel nach sieben hört keiner von euch den Wecker klingeln. Du bringst sie erst zur zweiten Stunde in die Schule, bleibst auf der Schnellstraße im Stau stecken und erreichst Florenz mit zweistündiger Verspätung. Die Auslieferung eines Katalogs muss um einen Tag verschoben werden. In der Firma sieht man das gar nicht gern, so kurz vor der Vernissage.
In der dritten Nacht raubt es dir den Schlaf, dass du nachgegeben hast und Elisa hast gehen lassen. Nichts wird mehr so sein wie früher. Die Statue der Göttin ist auf ihren eigenen zwei Beinen zum Tempel hinausmarschiert.
Um fünf Uhr morgens gehst du hinunter in den Keller, der auch nach acht Jahren noch Arbeitszimmer, Winterquartier für das Gartenzelt und Depot für unbedeutende Erinnerungen ist. Im Schein einer rosafarbenen Wandleuchte in Muschelform – ein abscheuliches Geschenk deiner Schwägerin – sehen die Wände aus wie weiße Blätter. Zum soundsovielten Mal überarbeitest du das Angebot, das du BDX in Paris unterbreiten willst. Du hast es geschafft, einen Termin beim Geschäftsführer zu bekommen. Mehr als zehn Minuten wirst du allerdings nicht haben, um ihn davon zu überzeugen, euch weiterhin die Manga-Alben für den italienischen Markt drucken zu lassen. Du stellst dir schon vor, wie unerträglich französisch und hübsch seine Sekretärin sein wird, diese Chantal Chevalier. Aber eine Sekunde später siehst du dich schon vor den beiden Aggradis stehen, die dich im Juli ins Zwischengeschoss bestellen werden, um dir mitzuteilen, dass das Verkaufsziel des zweiten Halbjahrs nach oben korrigiert wurde. Wir müssen die Latte höher hängen, Guerri. Nur der Umsatz zählt, Guerri.
Im Großen und Ganzen kommst du ganz gut zurecht. Du machst die abenteuerliche Erfahrung eines Supermarktbesuchs mit deiner Tochter, die dich von ihrem Hochsitz im Einkaufswagen durch die Gänge dirigiert. Du entdeckst, dass es in eurer Küche noch andere Elektrogeräte gibt als die Mikrowelle. Du findest heraus, dass deine Frau die Waschmaschine nicht optimal nutzt. Du heftest Rechnungen ab und stößt auf ein paar unbezahlte Bußgeldbescheide, für die nun Extrazinsen und Gebühren anfallen. Du taust das Eisfach ab.
Deine Tochter wirkt nachdenklich und fragt, warum Mama jetzt auch arbeiten geht. Ein Zeichen, dass sie sich Sorgen macht.
»Mama geht nicht arbeiten. Sie leistet Romina nur ein bisschen Gesellschaft.«
Der ConTesto Verlag hat die ersten zahlungswilligen Autoren geködert, und deine beiden jungen Mitarbeiter können immer noch nicht eine Bodoni von einer einfachen Helvetica unterscheiden. Du hast kaum Zeit, deine Frau zu vermissen.
Nicht ein einziges Mal rufst du Elisa an. Und wenn sie sich bei euch meldet, gibst du den Hörer gleich an Caterina weiter.
Zum Ausgleich rufst du eines Abends Maria Carla an, die frischgebackene Literaturwissenschaftlerin.
29
E igentlich wollte ich die SIM-Karte wegwerfen, die ich benutzt habe, um mit Laura zu telefonieren, aber dann habe ich sie in ein altes Handy gesteckt. Es war eins der ersten mit aufklappbarem Display, ich hatte es zusammen mit meinem ersten Navigationsgerät gekauft. Ich beschloss, ihr ein paar Nachrichten zu schicken, um locker Kontakt zu halten.
Heute hat Laura mich schon zweimal angerufen. Es ist wohl besser, ich melde mich mal. »Ich war bei einem lästigen Kunden«, entschuldige ich mich.
»Du, es ist etwas so Tolles passiert … Das wollte ich dir unbedingt erzählen«, schießt sie gleich los. »Ein Wunder.«
»Oh Gott, du bist trotz Pille schwanger geworden!«,
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