Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)
5. Du bist zu Hause, der Duft der Lindenblüten erinnert dich daran, dass der Frühling nicht mehr aufzuhalten ist. Die Tage werden länger, und heute Abend bist du schon vor acht zu Hause. Überall in der Wohnanlage sieht man, dass der Gärtner da war. Zum Glück, schließlich kostet er ja auch genug.
Morgen ist Samstag, dann kannst du endlich die neuen Seitenspiegel montieren. Sie liegen auf der Werkbank in der Garage, immer noch in der Plastikverpackung der Paketpost. Die rechteckigen, nach unten breiter werdenden Spiegel, die du jetzt dran hast, sind nicht die originalen, mit denen dein geliebter »coda tronca« seinerzeit vom Fließband rollte. Wenn die Gutachter die runden Spiegel sehen, werden sie begeistert sein.
Alles wird perfekt sein.
Du, Furio Guerri, Verkaufschef von Aggradi Grafik & Druck, bist heute Abend der Ehemann, von dem alle Frauen träumen, und der Vater, den jede Tochter sich wünscht.
Elisa trägt einen Verband am Handgelenk und verzieht das Gesicht, wenn sie den Arm bewegt.
»Tut es noch sehr weh?«
Wortlos ahmt deine Frau einen der wenigen schüchternen Gesichtsausdrücke deiner Tochter nach, und du gibst ihr einen Kuss.
Heute Abend bist du der Ehemann, von dem alle Frauen träumen. Elisa stellt die Rosen in eine Vase und würde das alles am liebsten vergessen. Wie du.
Eigentlich haben nicht viele Leute euren Streit mitbekommen, vor allem niemand, der euch kennt und es nun überall weitertratschen könnte. Das ist nämlich die größte Sorge deiner Frau: dass sie sich nicht schämen muss, dass nichts durch die Wände eures hübschen Eigenheims nach außen sickert. Dass, in guten wie in schlechten Zeiten, eure Privatsphäre gewahrt bleibt, vor allem aber der gute Name der Familie Domini.
Elisa steht auf, um den Tisch abzuräumen. Caterina stellt vorsichtig ihr Glas und ihren Teller ins Spülbecken, schnappt sich die Buchung für Eurodisney und studiert sie noch einmal gründlich, mit geöffnetem Mund angesichts dieses Wunders. Dabei besteht das eigentliche Wunder darin, dass du den Aggradis eine Woche Urlaub abringen konntest.
»Wann ist der 20. Mai, Papsi?«
»Nach der Wahl, wenn Mama wieder Zeit hat«, betonst du.
Dann nimmst du den Kalender von der Wand und rechnest gemeinsam mit ihr nach. Du lenkst ihre kleine Hand zu dem magischen Datum.
»Wir fliegen nach Paris!«, jubelt deine Tochter und lässt ihre Hand abheben wie das erste Flugzeug, das sie in ihrem Leben besteigen wird. Dann holt sie den Prospekt des Reiseveranstalters und liest sich gewissenhaft alles durch, was auf dem Deckblatt steht.
»Das romantische Paris … Papsi, was heißt romantisch ? Mama hat mal gesagt, dass ich auch so romantisch bin.«
Elisa stellt ein Tablett zum Trocknen ab und dreht sich mit einem überraschten Lächeln um. In den erhobenen Händen mit den roten Plastikhandschuhen hält sie jetzt eine Schüssel.
»Das heißt, dass Paris wunderschön ist. Und dass es voller Zauber ist …«, antwortest du.
»Zauber? Was für Zauber gibt es denn da?«
Du gibst Caterina einen Kuss und flüsterst ihr etwas ins Ohr. Sie quietscht vor Vergnügen darüber, ein Geheimnis mit dir zu teilen.
»Diese Heimlichtuerei gefällt mir nicht«, sagt deine Frau. »Ich will es auch hören.«
»Wollen wir es ihr sagen, Papsi?«, fragt Caterina.
»Na gut, sagen wir es ihr.«
»Da gibt es einen Zauber, der macht, dass Mamas und Papas dort hinreisen, und danach kommen die kleinen Geschwister!«
Die Schüssel gleitet Elisa aus den Händen und zerschellt an den ungespülten Gläsern. Caterina hält sich die Ohren zu und rennt zum Becken, um nachzusehen, was passiert ist.
»Nichts anfassen«, warnt Elisa. Sie streift die Handschuhe ab wie eine alte Haut, lässt sie ins dreckige Wasser fallen und macht auf dem Weg aus der Küche einen großen Bogen um den Tisch, um dir nicht zu nahe zu kommen.
Du hast sehr wohl begriffen, dass sie kurz davor ist, in Tränen auszubrechen. Aber deine Frau verschwindet so schnell nach oben, dass du durchaus so tun kannst, als hättest du es nicht gemerkt.
In fünf Minuten wirst du ihr nachgehen, den Ahnungslosen spielen und beteuern, dass du das nicht wolltest. Du wirst fragen, was daran so schlimm sei, sich noch ein zweites Kind zu wünschen. Und dann wirst du hinzufügen, dass sie im Moment wirklich sehr müde und abgespannt wirke. Wenn man nicht dran gewöhnt sei, könne es eben doch sehr anstrengend sein zu arbeiten.
Von wegen. Als du nach oben kommst, räumt sie Caterinas Zimmer
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