Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)
keine Wut, kein Schmerz in Elisas Augen. Nur verlaufenes Make-up und etwas, das du präzise benennen kannst. Mitleid. Für dich und für diesen erbärmlichen Streit.
»Versuch doch mal, dein Gehirn zu benutzen, falls du eins hast«, stichelst du weiter, doch deine Worte sind nur eine Handvoll Sand, die du ihr in die Augen wirfst. Eine Notlösung, um einen weiteren Rückzieher zu verschleiern. »Ich hole jetzt Caterina ab.«
31
I ch habe die Anzahl der Tropfen auf acht erhöht und mich dem Zurückschneiden der Eukalyptusbäume gewidmet, diesen Auftrag schiebe ich schon seit einem Monat vor mir her. Nach einer Weile muss mich der Lärm der Motorsäge wohl hypnotisiert haben. Ich habe keine Ahnung, wie sie mir aus der Hand rutschen konnte, aber sie hätte mir fast einen Fuß amputiert, da fehlten nur ein paar Zentimeter. Nicht einmal das habe ich sofort gemerkt.
Ich bin auf vier Tropfen runtergegangen, dann auf drei. Die Dosis bestimme ich mittlerweile selbst.
Aber die letzte Nacht war grauenhaft. Mir geht es beschissen.
So schlimm wie in der letzten Nacht war es noch nie. Ich war auf der Insel und erhielt die Nachricht, dass Elisa komme. Ich bin durchgedreht vor Freude, habe mich rasiert und mir ein hübsches Hemd ausgesucht, und dann habe ich den kleinen Hafen unten nicht mehr aus den Augen gelassen, als wäre ich als Wache abkommandiert.
Unterdessen fragten mich alle über Elisa aus, und ich erzählte, sie sei meine Frau und wunderschön. Ich gehe mit Elisa fort, wiederholte ich und verabschiedete mich schon einmal von meinen Gefährten.
Dann kam Elisa, in einem weißen Brautkleid, das in der Dunkelheit zu leuchten schien.
Feierlich schritt sie voran, als ginge sie auf den Traualtar zu, aber sie kam nicht von der kleinen Straße, die vom Hafen hinaufführt. Ich weiß auch nicht, woher sie kam. Irgendwann war sie einfach da, gekleidet wie eine Braut und mit Maiglöckchen im Haar. Es waren unzählige. Viel zu viele.
Warum hast du das angezogen?, wollte ich von ihr wissen.
Siehst du, wie die Blumen auf meinem Kopf wachsen?, fragte sie zurück.
In dem Moment merkte ich, dass alle anderen um uns herumstanden. Alle, die mit mir auf der Insel mit dem Frauenprofil weilten. Es waren fünfzig oder sechzig, alles Männer.
Sie umzingelten uns, näherten sich meiner Frau. Ich war außer mir, aber sie blieb ganz ruhig und lächelte mich an.
Haut ab!, schrie ich. Doch sie sagte: Kommt alle her!, und lächelte auch ihnen zu.
Die Männer streckten ihre Hände nach ihr aus und griffen nach den Maiglöckchen, die aus ihren Locken schauten. Elisa wehrte sich nicht. Im Gegenteil, bei jeder Blume, die ihr aus dem Haar gepflückt wurde, biss sie sich vor Entzücken auf die Lippen.
Jetzt reißt mir auch noch das Kleid vom Leib, sagte sie schließlich.
Ich könnte mich verfluchen. Warum bin ich nicht wenigstens vorher aufgewacht?
»Noch so eine Nacht, und ich bringe mich um«, sagte ich zu meinem Arzt, als ich ihn endlich erreichte.
»Denken Sie nie an die Nacht, die kommt«, lautete seine Antwort. »Denken Sie an die Nacht, die Sie geschafft haben.«
32
E in paar Tage herrscht Ruhe. Es scheint, als könnte es so weitergehen, jeder hinter seinem erbärmlichen Schutzwall aus notwendigen und bewährten Gesten, ohne einander wehzutun, bis Elisa dir eines Abends, nachdem sie Caterina ins Bett gebracht hat, eröffnet, sie müsse mit dir reden.
Du hast gerade die Reste eines Brathähnchens, Tütensalat und gummiartigen Mozzarella hinuntergewürgt und nebenbei telefonisch die letzten Korrekturen für den Katalog durchgegeben, der noch nachts in den Druck gehen muss. Mehrmals entfuhr dir ein: »Ihr kapiert aber auch gar nichts!«
Elisa zieht die Schublade neben dem Fernseher auf. Das ist die Schublade, in der euer Hochzeitsalbum wieder Platz gefunden hat, nachdem alle Versuche, die roten Flecken aus dem Jacquardeinband zu entfernen, fehlgeschlagen waren. Erdbeermarmelade oder Tomatensugo oder was auch immer, jedenfalls waren die Patschehändchen deiner süßen Caterina wohl nicht ganz unschuldig daran.
Dann taucht noch ein kleines Buch aus der Schublade auf, mit Kapitalbändchen, scharlachrotem Lesezeichen und einem Umschlag, der an eine Keksdose erinnert. Elisa schlägt es auf.
»Das lag bei deinen Arbeitsunterlagen.«
»Jetzt schnüffelst du also schon in meinen Sachen herum? Toll!«
Mit der zittrigen Stimme einer Schülerin bei ihrer ersten Aufführung liest sie dir die Widmung vor.
»Versuch zu lernen, deine Lider
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