Vater, Mutter, Tod (German Edition)
Robin entwickelten sich zu einer verschworenen Gemeinschaft.
Parallel dazu versuchte sie, selbst wieder im Berufsleben Fuß zu fassen. Vor der Schwangerschaft hatte sie an der Kasse eines Lebensmitteldiscounters gesessen. Inzwischen gab es Siebzehn- und Achtzehnjährige, die für einen Bruchteil ihres damaligen Gehalts arbeiteten. Während sie weiter fleißig und erfolglos Bewerbungen verschickte, hatte Thorsten dies längst aufgegeben.
Er war der Meinung, man dürfe keinen deutschen Pass haben, um auf dem Bau noch Arbeit zu bekommen.
Vereinzelte Putzjobs halfen Jacqueline, die Hartz- IV -Bezüge und das Kindergeld ein wenig aufzustocken. Besser als nichts.
Jacqueline ertappte sich dabei, dass sie immer noch auf ihren Sohn am Küchentisch starrte. Den blauweiß gemusterten Teller in ihrer Hand hatte sie längst trockengewischt.
»Was malst du da?«, wollte sie wissen.
Robin antwortete, ohne den Kopf zu heben: »Einen Bagger.«
Jacqueline erinnerte sich, wie fasziniert Robin gestern am Bauzaun gestanden hatte, als sie vom Einkaufen nach Hause gegangen waren. Den großen Bagger hatte er nicht aus den Augen gelassen. Sie hatte ihn regelrecht mit sich zerren müssen.
»In Gelb«, ergänzte er. »Wie der von gestern.«
Ein Spielzeugbagger, dachte Jacqueline, darüber würde er sich sicher freuen.
Als sie im Flur das Klacken eines Schlüssels hörte, zuckte sie zusammen. Auch Robin erschrak, fuhr mit seinem Buntstift plötzlich quer übers Blatt. Er sah kurz auf und griff dann nach seinem Radiergummi, um den unerwünschten Farbstrich zu beseitigen.
Während Jacqueline Schritte hörte, die sich der Küchentür näherten, verstaute sie den trockenen Teller und nahm sich einen anderen aus dem Spülbecken.
Sie wusste, dass er nun – hinter ihrem Rücken – im Türrahmen stand.
Thorsten atmete hörbar. Er stank.
Das »Bin wieder da«, das er vor sich hin nuschelte, war kaum zu verstehen.
Er kam zu Jacqueline. Sie spürte seinen Atem im Nacken, dann seine Hand an ihrem Hintern. Kommentarlos trat sie einen Schritt zur Seite, trocknete weiter Geschirr ab, beobachtete ihn aus dem Augenwinkel.
Sie hatte längst gelernt, wo der Grat lag zwischen zu viel Gegenwehr und zu wenig. Meistens gelang es ihr, darauf zu balancieren.
Auch heute zeigte ihre Strategie Erfolg. Er wandte sich von ihr ab und öffnete die Kühlschranktür. Bier war im Augenblick mit weniger Aufwand zu bekommen als Sex. Wie genau sie ihn doch nach all den Jahren kannte.
Der Schublade entnahm er einen Flaschenöffner und mit dem üblichen ploppenden Geräusch entkronte er eine Flasche Pilsator.
Leicht torkelnd ging er hinüber zum Küchentisch und setzte sich übers Eck zu Robin. Der Junge sah nicht auf, sammelte nur seine Buntstifte zusammen, die quer verstreut über den Tisch lagen, und platzierte sie sorgfältig und ordentlich in seiner unmittelbaren Nähe.
Nach einem großen Schluck setzte Thorsten die Flasche an der Stelle ab, an der bis eben noch die Stifte gelegen hatten. Aus seiner Hosentasche fummelte er eine neue Packung Marlboro heraus, riss sie auf und steckte sich eine der Zigaretten an.
»Ah, ein Bagger«, lallte er, als er erkannte, was sein Sohn da malte.
»Mhmm«, so Robins knappe Reaktion.
»Weißu, dass der Papa früher auch am Bau gearbeitet hat?«
Den Zigarettenqualm blies er dem Jungen genau ins Gesicht.
»Mhmm«, Robin hustete kurz.
»Jetzt sinna überall die Polacken und die Russen-Mafia.«
Jacqueline verstaute den letzten abgetrockneten Teller im Schrank und verließ die Küche. Im Flur schlüpfte sie in ihre Straßenschuhe.
»Wo willste denn noch hin?«
Jacqueline ärgerte sich über die Frage. Es klappte nicht, es einfach hinunterzuschlucken. Jacqueline merkte, dass sie das Gleichgewicht verlor und es ihr unmöglich wurde, sich auf dem Grat zu halten.
Sie hörte sich keifen.
»Ich habe dir schon tausendmal erzählt, dass ich heute ein Vorstellungsgespräch habe.«
»Haste nicht!«
»Oh doch, das habe ich.«
»Nein.«
Robin mischte sich ein, ohne den Blick zu heben.
»Doch, Mama hat es gesagt«, nahm er Jacqueline in Schutz.
»Halt du dich da raus, Kleiner«, herrschte Thorsten ihn an.
»Du sollst ihn nicht anschreien«, sagte Jacqueline resolut und betrat erneut die Küche.
»Ich rede so mimeinem Sohn, wie ich’s für richtig halte.«
Seine Augen verengten sich und sahen Jacqueline herausfordernd an.
Gleichzeitig hob er seine Hand und gab dem Jungen provozierend einen sanften Klaps auf den
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