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Vater sein dagegen sehr

Vater sein dagegen sehr

Titel: Vater sein dagegen sehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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bitte...!«
    »Vorläufig gilt mein Bruder Hermann als vermißt!« warf Frau Roeckel ein.
    »Saudummes Geschwätz!« knurrte Herr Roeckel. »Wenn einer seit acht Jahren vermißt ist, in Rußland, und in acht Jahren keine Zeile und keine Karte nach Deutschland schicken konnte, dann ist er für mich hin! Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber ob er nun tot ist oder nicht, das ist ja auch, im Augenblick wenigstens, völlig wurscht. Auf jeden Fall hat der Staat auch für die Kinder von Vermißten zu sorgen.«
    »Richtig!« rief Lutz beifällig und drückte den Spitz Bello, der sich daranmachte, seine Schnürsenkel abzufressen, unter das Bett. »Bei der bekannten Großzügigkeit von Väterchen Staat wird es sich bei dieser Versorgung um zwei erstklassige
    Freiplätze in einem Waisenhaus handeln.« Er sah die Furcht in Traudls blassem Gesicht und legte ihr beruhigend die Hand auf den Rücken. Sein Gesicht verlor plötzlich jede Verbindlichkeit und wurde scharf wie ein Keil. Aber Frau Roeckel kam ihm zuvor.
    »Mein Mann hat kein Wort vom Waisenhaus gesagt! Er hat nur gesagt, daß der Staat die Kinder meines Bruders in irgendeiner Form unterstützen muß. Vom Waisenhaus haben Sie angefangen, Sie ganz allein!«
    »Um so besser, daß wir uns über diesen Punkt nun klar sind!« sagte Lutz und kniff Traudl ins Ohrläppchen. »Aber nun wollen wir doch nicht lange um den heißen Brei herumgehen. Es ist nämlich eine einzige Frage, die hier zu beantWorten ist, und diese Frage lautet: Wer nimmt die Kinder zu sich?«

D R I T T E S K A P I T E L

    Herr Roeckel erhob sich. Sein runder Bauch, der unter der flachen Brust wie ein Kugelsegment ziemlich unvermittelt vorsprang und die Weste prall füllte, streifte mit den Westenknöpfen die Tischkante und brachte die Teetassen zum Klirren. Roeckel schien, ohne es zu ahnen, jener Spielart der Philosophen anzugehören, die sich Peripatetiker nannten, weil sie ihre Probleme umherwandelnd lösten. Sein Drang, sich Bewegung zu verschaffen, war hier jedoch fehl am Platze, da der Raum für Spaziergänge zu klein war. Er ließ sich mit einem Seufzer des Unbehagens wieder in seinen Stuhl zurückfallen, wobei sein Bauch den Tisch wiederum zum Schwanken und das Porzellan zum Klirren brachte. Die sechs kurzen Worte, mit denen Lutz seine entscheidende Frage ausgesprochen hatte, erzeugten eine Spannung, die auf die Atmungsorgane der Beteiligten wie ein erhöhter atmosphärischer Druck zu wirken schien; selbst die Kinder konnten sich ihr nicht entziehen. Der Bub vergaß es, an seinem Nußbruch weiterzuknabbern, und sogar der Spitz Bello unterbrach sich im Flöhescharren und schaute aus seinen ein wenig basedowisch wirkenden braunen Kugelaugen aufmerksam zu Lutz empor, als wolle er fragen: Wen soll ich beißen?
    »Soviel ich weiß, haben Sie keine Kinder«, sagte Lutz mit einer kleinen Verbeugung gegen Frau Roeckel.
    »Nein«, antwortete sie ein wenig schrill, »wir haben keine Kinder. Kindersegen ist uns versagt geblieben.«
    »An mir hat es nicht gelegen«, murmelte Herr Roeckel und zerrieb die erloschene und verkohlte Brandstelle seiner Brasil zwischen Daumen und Zeigefinger. Frau Roeckel zerknüllte das schwarzumränderte Taschentuch nervös zwischen den Fingern und warf ihrem Mann einen raschen unfreundlichen Blick zu. Die Haut über den Wangenknochen der tragischen Maske färbte sich rötlichgrau.
    »Wir haben eine Dreizimmerwohnung und ein kleines Gehalt, und mein Vermögen ist verlorengegangen, und ich kann mir nicht einmal mehr ein Mädchen halten.«
    »Hör mit dem Käse auf«, fiel ihr Herr Roeckel ins Wort, »das interessiert keinen Menschen, ob du dir ein Mädchen halten kannst oder nicht!«
    »Aber es gehört zur Sache! Schließlich muß Herr Müller ja wissen, unter was für bescheidenen Verhältnissen wir leben!«
    »Und es gibt Millionen, denen es bedeutend schlechter geht als uns. Millionen, sage ich!«
    »Und es gibt Millionen, denen es besser geht als uns. Bedeutend besser!«
    »Du hättest eben den Reichsbahnpräsidenten heiraten sollen und nicht einen kleinen Mann wie mich! Oder einen Generaldirektor von der Kohlenunion! Oder den Adenauer!«
    Die Kinder lauschten einigermaßen beklommen, sie zogen die Köpfe ein, und auch Lutz war es nicht ganz wohl. Hier schien sich ein kleiner Familienkrach zu entwickeln.
    »Unterschieb mir nichts, was ich nicht gesagt habe!« rief Frau Roeckel schrill. »Ich habe gesagt, daß wir eine kleine Wohnung haben, die ich ganz allein in Ordnung

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