Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vater sein dagegen sehr

Vater sein dagegen sehr

Titel: Vater sein dagegen sehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
riechen, ihre Haut zu berühren, sie im Arm zu halten und zu streicheln. Er ging langsam die Treppen empor. Traudl räumte das Geschirr ab.
    »Ihre Tasse muß man heiß abwaschen!« sagte sie.
    »Weshalb?« fragte er etwas unwirsch.
    »Z'wegen dem Lippenstift«, antwortete sie, »und am Löffel ist auch rote Farb dran.«
    »Dann setz eben etwas Wasser auf!«
    »Ich hab gedacht, Lehrer dürfen keinen Lippenstift nicht benutzen«, bohrte Traudl weiter.
    »Fräulein Leinegger ist kein Lehrer, sondern eine Lehrerin! Und sie war nicht als Lehrerin hier, sondern privat. Und drittens dürfen Lehrerinnen selbstverständlich einen Lippenstift benutzen!«
    »Gell, sie gefällt dir, die Fräulein Leinegger?«
    »Gefällt sie dir etwa nicht?« fragte Lutz und stellte sich harmlos. — Teufel ja, ging es schon wieder los mit der verdämmten Eifersucht? Er wollte es heiter nehmen, aber es machte ihn ganz verzagt. —
    »Freilich gefällt sie mir«, sagte Traudl und füllte Wasser in den elektrischen Kochtopf. Eine Weile klapperte sie schweigend mit dem Geschirr. Aber etwas brannte ihr noch auf der Zunge.
    »Und wie du geredet hast!« kicherte sie.
    »Wie ich geredet habe?« wiederholte Lutz. »Bitte! Wie habe ich geredet?«
    Traudl zögerte, sie suchte nach dem passenden Ausdruck, und sie suchte auch in Lutz' Gesicht nach den Zeichen, ob man ihm trauen dürfe.
    »Also los, los, los!« rief er ungeduldig.
    »Mei', halt so g'schwollen«, sagte sie schließlich.
    Lutz sah sie an und hüstelte. Wolken zogen auf.
    »Wenn du mich nicht gefragt hättest, nachher hätt' ich nicht geantwortet!« sagte Traudl im Ton gekränkter Unschuld und schob damit Lutz die Schuld in die Schuhe, wenn er etwas gehört hätte, was ihm nicht paßte. »Bittschön, und du hast immer gesagt, alles kannst vertragen, nur nicht, wenn eins lügt!«
    Lutz biß die Zähne zusammen und drehte sich um. Er zischte ein einziges Wort durch die Zähne. Das Wort lautete: »Biest!«

V I E R Z E H N T E S K A P I T E L

    Es herbstete schon sehr und die Tage wurden merklich kürzer, als Rudi sein Bett endlich verlassen durfte. Er hinkte noch ein wenig, aber er hinkte wohl mehr, um sich interessant zu machen, denn wenn er sich nicht beobachtet fühlte, sprang und hüpfte er genauso wie früher. Vier Wochen lang hatte er sich verhältnismäßig geduldig in sein Schicksal gefügt, lang genug für einen Buben, der bis auf das bissel verrenkten Haxn kerngesund und lebendig wie Quecksilber war. Dann aber in den letzten vierzehn Tagen, war es mit ihm nicht mehr auszuhalten gewesen, er hatte Lutz und Traudl und jeden, der in seine Nähe kam, sekkiert, war böse und widerwärtig geworden, und Lutz hatte ihm trotz Gips und Krankenlager ab und zu eine langen müssen. Jetzt also ging er Gott sei Dank wieder in die Schule, und wenn er im Rechnen auch ein wenig hinter der Klasse zurückgeblieben war, so schlug er doch alle im Lesen; das hatte er in den vergangenen sechs Wochen am Robinson Crusoe und am Lederstrumpf schon aus lauter Langeweile gründlich gelernt.
    Lutz hatte seinen Roman, die Arbeit eines guten halben Jahres, inzwischen beendet. Er war, als er den Schlußstrich unter das letzte Kapitel setzte, erschöpft und glücklich. Zum erstenmal hatte er die große, klare Entrückung des formenden Schöpfungsaktes verspürt. Den äußeren Erfolg bezweifelte er schon aus Aberglauben, aber für ihn persönlich war die Arbeit ein großer Schritt nach vorn. Hätte man ihn gefragt, ob er sie für gelungen halte, so wäre ihm die Antwort schwer geworden. Ihm ging es wie Schauspielern, die wochenlang vor dem leeren Parkett proben. Einen Tag vor der Premiere weiß kein Mensch mehr, ob das Stück, in das man mit soviel Schwung hinein« ging, ein Erfolg oder ein Reinfall wird. Auch Lutz fehlte das Publikum, an dessen Reaktion er die Wirkung seiner Arbeit messen konnte. Vielleicht wäre Fräulein Leinegger sein erwünschtes Publikum gewesen — aber einmal war es eine abergläubische Scheu, die ihn daran hinderte, ihr aus dem unvoll« endeten Roman Abschnitte vorzulesen, gleichsam, als vertrüge dieser Keimling noch keine Berührung mit dem Licht der Außenwelt —, und dann machte sich Fräulein Leinegger, seit Lutz aus München zurückgekehrt war, im Turm auch wieder rar. Und wenn sie, solange der Rudi noch im Gips lag, schon kam, dann waren diese Besuche flüchtig und galten ganz deut« lieh dem kranken Buben und nicht etwa ihm. — Die Kaffee« stunde jedenfalls wiederholte sich

Weitere Kostenlose Bücher