Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition)
einem Fuß auf den anderen, während sie ins Haus kamen. Er wusste genau, was geschehen würde, er freute sich.
»Na, mein Schatz«, die Mutter lächelte ihren Sohn an, streichelte ihm über die Haare, zog seinen Kopf liebevoll an ihre Brust, »wie schön, dass du da bist. Erzähl deiner Mami, was deine böse Schwester schon wieder angestellt hat.«
Eifrig berichtete Hans, was vorgefallen war. Besonders erwähnenswert schien ihm das Leugnen seiner Schwester. Er wusste genau, dass eben das den Zorn der Mutter anspornen würde. Die Prügel, die weder Stefanie noch Robbi zu spüren bekamen, steckte Käthe ein. Wenn die Mutter prügelte, so lange und heftig wie jetzt, das war ihr Gebiet.
Wieder hatte Käthe keine Ahnung, wofür sie geschlagen wurde. Von dem, was vorher geschehen war, wusste sie überhaupt nichts. Käthe ging durch das Leben von einer Prügelstrafe zur nächsten. Dazwischen war nichts. Käthes Leben war geprügelt zu werden. Für alles andere war sie amnestisch.
»Ich hab doch gar nichts gemacht.«
Es stimmt, Käthe. Du hast nichts gemacht. Arme Käthe. Aber das glaubt dir keiner. Merkst du das nicht? Käthe, du darfst nicht lügen.
Aber vielleicht musst du ja lügen. Wenn alle sagen, dass deine Wahrheit eine Lüge ist. Was bleibt dir dann noch anderes übrig, als ihre Lügen Wahrheit zu nennen?
Sag doch einfach, dass sie recht haben. Sag, dass du lügst. Sag, dass du schlecht bist. Böse. Ein Kind des Teufels. Sag es. Sagʼs. Und sie hört auf, dich zu schlagen. Sag es, und die Schmerzen hören auf. Sag es, und alles wird gut.
»Ja, ich hab es getan.«
Das war die erste bewusste Lüge, die Käthe aussprach.
1968
Studentenunruhen in Frankreich, Sowjetische Panzer in Prag,
Notstandsgesetze in Deutschland, Attentat auf Rudi Dutschke
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes nimmt das Delikt Inzest zu
Im Kino: »Rosemarys Baby« und »Warte, bis es dunkel wird«
Hitparade: »Great Balls of Fire« (Jerry Lee Lewis), »Young girl«, »Hair«
Twiggy-Mode und Hippie-Look, »Anti-Bügel-Hose mit ewiger Bügelfalte«
Man spielt das BP-Glücksspiel »Rubbel die Mark« und liest
»Jasmin, die Zeitschrift für das Leben zu zweit«
Kinderfeste
Manche Ereignisse in Angela Bahrs Lebens begannen schön und spannend. Sie schienen interessant zu werden, man konnte sich darauf freuen.
»Es wird dir Spaß machen«, sagten die Erwachsenen. »Es gibt tolle Spiele.« – »Wir machen ein Kinderfest.« – »Wir haben eine Überraschung, über die du dich bestimmt freust.«
Nichts davon war wahr. Aber immer wieder glaubte sie, dass es dieses Mal wahr sein würde.
Ein Wochenendausflug mit dem Papi!
Fast ein ganzes Wochenende ohne die Mutter und den Bruder. Zwei Tage lang. Am Sonntag ging es los, erst am Montagabend würden sie zurückkommen. Montag war der 17. Juni, also schulfrei. Wunderschön. Stefanie war sehr aufgeregt. Besonders, weil sie dort noch andere Kinder treffen sollte. Mit denen dürfte sie spielen. Dort im Garten. Das durfte sie sonst nie. Zu anderen Leuten gehen und dort mit den Kindern spielen. Einfach so. Das war eine ganz neue Erfahrung. Auch die Mutter war heiter, nun hatte sie ihren Sohn ein ganzes Wochenende für sich allein. »Tag der Deutschen Einheit«, sagte sie und dass sie mit Hans etwas Besonderes vorhatte. Sie packte sogar einen Picknickkorb mit Butterbroten und Obst und Saft für Mann und Tochter.
Schon am frühen Morgen fuhren sie los, etwa zwei Stunden saß Stefanie neben ihrem Vater im Auto und war ziemlich glücklich. Der Papa fuhr wie der Teufel. Er machte sich immer ganz breit hinter dem Steuer seiner großen Mercedes Limousine, drückte die Ellenbogen zu beiden Seiten raus, links aus dem heruntergekurbelten Fenster und rechts so weit, dass Stefanie sich dünn machen musste. Da saß er, dieser kleine dicke Mann, der die anderen Autos laut hupend überholte, triumphierend hinübergrinste und sich freute wie ein Kind.
Unbeschwert war Stefanie nie. Auch wenn der Vater so fröhlich war wie jetzt. Es konnte immer noch etwas kommen. Etwas anderes. Immer lag so eine Spannung in der Luft. Irgendetwas war zwischen ihnen, was Stefanie nicht verstand, auf das sie aber genau aufpassen musste. Und seine Blicke. So merkwürdig. So dunkel. Wenn er wieder einen Wagen überholt hatte, auf der engen Landstraße, so dicht am Gebüsch, dass sie eine Wolke von Blütenstaub aus der blühenden Lindenhecke hinter sich herzogen. Wenn er dann stolz zu ihr herüberschaute, seine Hand auf ihr Knie
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