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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jilliane Hoffman
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vorgefallen ist, aber Sie wissen, was ich denke.» Sie nickte. Tierquälerei, vor allem in Kindheit und Jugend, waren alarmierende Symptome einer emotionalen Störung – klassische Warnzeichen für eine sich entwickelnde antisoziale Persönlichkeit. Viele berühmte Mörder hatten mit Tieren herumexperimentiert, lange bevor sie sich an Menschen heranwagten. Jeffrey Dahmer pfählte Hunde; Richard Allen Davis steckte Katzen in Brand; Richard Speck warf Vögel in den Ventilator. Die Liste war lang.
« Wir sollten uns trotzdem davor hüten, voreilige Schlüsse zu ziehen», gab Lat zu bedenken und tippte sich mit dem Finger an die Schläfe.
« Behalten Sie es im Hinterkopf. Im zweiten Jahr an der Uni hat Marquette sich in Parker Hills einweisen lassen, sagt sein Anwalt. Das war 1990. Wir haben seine Krankenakte mitgebracht.» Lat deutete auf die Kiste.
« Eine kleine Bettlektüre für Sie. Vielleicht können Sie danach besser schlafen», sagte er mit einem sanften Lächeln.
« Wurde Schizophrenie diagnostiziert?», fragte Julia. Marquette musste damals neunzehn oder zwanzig gewesen sein – genau in dem Alter, in dem sich die Krankheit bei Männern im Durchschnitt zum ersten Mal bemerkbar machte. Allerdings wusste sie von ihren Recherchen, dass eine vor Gericht relevante Diagnose erst dann gestellt werden konnte, wenn bei dem Betroffenen zuvor mindestens sechs Monate lang Symptome von Schizophrenie beobachtet worden waren. Das würde jedoch nicht nötig sein, falls Marquette bereits vor sechzehn Jahren offiziell als schizophren eingestuft worden war. Einmal schizophren, immer schizophren. Die Krankheit verschwand nicht einfach wieder wie eine Erkältung und konnte auch nicht bekämpft werden wie Krebs. Doch Julia war noch auf eine weitere interessante Tatsache gestoßen: Schizophrene litten nicht zwangsläufig unter einer Psychose, sahen also nicht unbedingt für den Rest ihres Lebens Dinge oder hörten Stimmen, die gar nicht existierten. Was erklären würde, warum Marquette – zumindest auf den ersten Blick – ein relativ normales Leben geführt hatte. Die Krankheit war unvorhersehbar in ihrem Verlauf. Wie bei Rheuma, MS und Parkinson – manche erwischte es schlimmer als andere. Bei manchen schlugen die Medikamente an. Bei andern nicht. Lat schüttelte den Kopf.
« Nein, die Krankheit wurde nicht diagnostiziert, zumindest nicht direkt. Das Einzige, was der Arzt dazu in seinen Notizen vermerkt hat, ist Schizophrenie ausschließen^ Aber die Krankheit wird nirgendwo eindeutig diagnostiziert oder ausgeschlossen. Marquette war im dritten Semester in DePaul von seinem Vater eingeliefert worden, wegen, ich zitiere: Halluzinationen und gewalttätigem, aggressivem, unberechenbarem Verhalten). Aber in den Einweisungsunterlagen steht nur etwas von einer Kokainpsychose. Zum Zeitpunkt seiner Entlassung hatte man diese Psychose zu einer simplen Angststörung heruntergespielt – wahrscheinlich auf Wunsch seines Vaters. Die Marquettes sind in Kenilworth und Chicago große Nummern.»
« Kokainpsychose?», rief Julia überrascht.
« Also war das Ganze ein Drogenentzug?»
« Auf mich als Laien wirkt es zumindest so. Aber ich bin kein Verteidiger, der dreihundert Dollar die Stunde nimmt und sich an jeden Strohhalm klammern muss. Jede Wette, dass Levenson die Angststörung vor Gericht zu einem falsch diagnostizierten psychotischen Zusammenbruch aufbläst. Schließlich muss die Krankheit zum Verbrechen passen.»
« Ist der Arzt, der die Diagnose gestellt hat, noch da?»
« Schön war’s. Ein Jahr später war er weg. Und vor fünf Jahren ist er an einem Herzinfarkt gestorben.»
« Und das gewalttätige Verhalten?»
« Er hat seine Mutter mit einem Bügeleisen angegriffen.»
« Einem heißen», fügte Brill hinzu.
« Meine Güte», sagte Julia und schüttelte den Kopf.
« Wurde er verhaftet? Hat man die Polizei gerufen?»
« Zweimal nein», erwiderte Lat.
« Daddy hat Junior anscheinend in den Range Rover gepackt und ihn in dieses ultra-exklusive Psychiatriehotel gebracht. Unter falschem Namen natürlich. Alles streng geheim. Deswegen hätten wir es gar nicht finden können.»
« Die Familie hat noch mehr Leichen im Keller», sagte Brill mit einem seltsamen Lächeln.
« Wir haben Ihnen das Beste für den Schluss aufgehoben, Jules.» Sie sah von einem zum anderen.
« Warum ist mir so mulmig?»
« Entweder Sie hören es jetzt von uns, oder Sie lesen es morgen in der Zeitung», antwortete Lat.
« Levenson zaubert ein Kaninchen aus dem Hut.

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