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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jilliane Hoffman
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Brill fort.
« Ja», bestätigte Lat.
« Einige Wochen vor den Morden hatte Marquette während einer Operation eine lautstarke Auseinandersetzung mit einer Krankenschwester.»
« Und worum ging es?», fragte Julia.
« Das will sie uns nicht sagen. Aber Marquette ist wohl total ausgeflippt, hat sie übel beschimpft und schließlich aus dem OP geworfen. Allerdings ist sie auch mit einem anderen Arzt am Mount Sinai nicht sonderlich gut klargekommen, und ihre Lästerzunge hat sie schon öfter in Schwierigkeiten gebracht. Ihr Name ist Doris Hobbs. Die Morde haben sie ziemlich erschüttert. Bei der Befragung brach sie in Tränen aus und rief immer wieder theatralisch: ‹Ich habe immer gewusst, dass was mit ihm nicht stimmt.› Und: ‹Das hätte ich sein können!›» Julia zeigte auf die Kiste, die Lat neben ihrem Schreibtisch auf den Boden gestellt hatte.
« Was ist da noch drin? Das können doch nicht alles Berichte sein?»
« Besser. Krankenblätter.»
« Wir sind nach Kenilworth gefahren, das liegt am Ufer des Michigan-Sees und ist der Vorort von Chicago, in dem unser Doc geboren wurde und aufgewachsen ist», sagte Lat.
« Bis auf zwei Jahre, als sein Vater in Paris an der Pierre-und-Marie-Curie-Universität gelehrt hat, da war er so etwa fünf.»
« Schicke Gegend.»
« Wir haben ein paar seiner ehemaligen Lehrer befragt, aber keiner konnte oder wollte sich an ihn erinnern. Das gilt auch für die Klassenkameraden, die wir auftreiben konnten.»
« Der Typ war schon als Kind ein Einzelgänger», sagte Brill.
« Ein Außenseiter, und dazu noch ein bisschen seltsam. Er blieb immer für sich, hatte keine echten Freunde. Er war intelligent, aber faul, und vor allem sehr arrogant. In der Grundschule hatte er keine Probleme, aber an der Highschool brachen seine Noten plötzlich ein und blieben für ein Halbjahr im Keller – bis Daddy der Schule ein neues Gebäude spendierte. Danach lief wieder alles wie geschmiert, bis der kleine Davy an die DePaul University ging, wahrscheinlich auch dank Papi.»
« Drogen?», spekulierte Julia.
« Davon gehen wir aus», bestätigte Lat.
« Persönlichkeitsveränderung gepaart mit plötzlichem Notenabfall – die klassischen Symptome.»
« Aber wenn wir uns den Marquettes nähern, um ihre Sicht der Dinge zu erfragen, geht der Vorhang zu», rügte Brill hinzu.
« Man braucht ‘ne Vorladung, wenn man da mit jemand reden will.»
« Nach seinen drei Wochen Ferien in Parker Hills ist er von der DePaul abgegangen. Oder sie haben ihn rausgeworfen, weil sein Durchschnitt zu schlecht war. Im September darauf hat er an der Loyola angefangen», erklärte Lat.
« Die wenigen seiner früheren Bekannten, die glaubwürdige Angaben machen konnten, beschrieben ihn entweder als äußerst charmant oder als extrem manipulationssüchtig. Als selbstbewusst oder völlig überheblich», sagte Lat.
« Dazwischen gab es offenbar nichts.»
« Man muss doch ziemlich charmant sein, um jemanden manipulieren zu können, oder?», fragte Julia.
« Für meine Exfrau gilt das nicht», schnaubte Brill, und selbst Julia musste lachen.
« Wir haben uns sowohl an der DePaul University als auch an der Northwestern University, an der er schließlich Medizin abgeschlossen hat, durch die Archive gewühlt, aber nichts Außergewöhnliches gefunden. Niemand erinnert sich an ihn. In Loyola waren die Leistungen okay, zum Teil sehr gut. Wenn ihm was Spaß machte, war er exzellent, ansonsten strengte er sich nicht an. An der Northwestern war er Tür an Tür mit seinem Vater und hat schließlich das Examen geschafft, wenn auch mit Ach und Krach», sagte Lat und zuckte mit den Achseln.
« Wisst ihr, wie man einen Typen nennt, der in Medizin das schlechteste Examen der ganzen Uni gemacht hat?»
« Wie?»
« Herr Doktor.»
« Sehr wahr», sagte Lat.
« Und ich glaube, genau das wird das Schwierigste. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich die Geschworenen von seinem Beruf blenden lassen», seufzte Julia. Lat beugte sich vor und tippte mit den Fingern auf den Schreibtisch.
« In den Einschreibeunterlagen der DePaul University sind wir allerdings auf etwas sehr Interessantes gestoßen. Mit sechzehn ist der junge David verhaftet worden. Wegen Tierquälerei.» Julia zog überrascht die Augenbrauen hoch.
« Haben Sie Einsicht in die Akte bekommen?»
« Nein, die Akte wurde versiegelt und der Fall gelöscht, deswegen haben wir auch nichts darüber gefunden, und in den Unterlagen sind keine Einzelheiten aufgeführt. Keine Ahnung, was genau

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