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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jilliane Hoffman
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begraben. Fort aus ihrem Leben und ihrer Erinnerung. Aber das war er nicht. Vielleicht war es all die Jahre einfacher gewesen, so zu tun, als wäre er tot, statt mit der Verantwortung zu leben, zu wissen, dass er lebte. Vielleicht war nicht zu suchen das Gleiche wie nichts zu sehen. Aber jetzt kannte sie die Wahrheit. Und sie konnte nicht mehr weglaufen, konnte sich nicht mehr verstecken. Warum war der Gedanke, dass er psychisch krank war, so unerträglich, so schockierend? Dass er unzurechnungsfähig gewesen war, wo sein Verbrechen doch offensichtlich ein Beweis seines Wahnsinns war? Es ist diese Nacht. Die schlimmste Nacht des Jahres. Moose stupste sie mit seiner feuchten Nase an. Er wollte gestreichelt werden, und als sie nicht reagierte, fing er zu winseln an und legte den Kopf auf ihren Schoß. Schließlich nahm Julia ihn auf den Arm, drückte ihn fest an sich und vergrub das Gesicht in seinem Fell. Nach der Beerdigung hatten Tante Nora und Onkel Jimmy nie wieder über Andrew gesprochen. Seinen Namen zu erwähnen war streng verboten. Onkel Jimmy kaufte keine Zeitung mehr, und wenn im Fernsehen die Nachrichten kamen, wurde der Apparat ausgeschaltet – sie hätte gar nicht wissen können, was aus ihm geworden war, oder? Fünfzehn Jahre lang hatte Julia damit verbracht, ihr Unwissen, ihre Gleichgültigkeit zu rechtfertigen. Sie war erst dreizehn gewesen, fast noch ein Kind. Es hatte niemanden gegeben, dem sie sich hätte anvertrauen können, von dem sie Informationen bekommen oder der sie dorthin gebracht hätte, wo Andrew war. Am Tag nach den Morden hatte sie nicht nur ihr altes Zuhause aufgeben müssen, sondern auch jeden Menschen, der ihr emotional nahestand. Nicht einmal Carly war noch da. Jimmy und Nora und Great Kills wurden zu Julias neuer Welt. Und auch, wenn sie wusste, dass ihre Tante nur das Beste wollte, wusste sie auch, dass Nora nie darüber hinwegkommen würde, dass sie ihre einzige Schwester und beste Freundin verloren hatte. Familientherapie oder psychologische Beratung gab es nicht – Onkel Jimmy war strikt dagegen, das gehörte sich einfach nicht. Sie würden ihre Probleme selber lösen. Also war Julia dem Schmerz, der Einsamkeit und den immer wiederkehrenden Fragen auf die einzige Art und Weise begegnet, die sie kannte – indem sie alles aus ihren Gedanken verbannte, wie Tante Nora es sie lehrte. Doch jetzt lag die Verantwortung bei ihr, das wusste sie. Sie konnte es nicht länger auf ihre Tante und ihren Onkel schieben oder sich damit entschuldigen, dass sie noch ein Kind gewesen war. Jetzt lagen die Antworten ausgebreitet auf ihrem Küchentisch. Sie wusste nicht, wie lange sie im Bad auf dem Boden gesessen hatte. Irgendwann stand sie auf, wusch sich das Gesicht, putzte sich die Zähne und kehrte in die Küche zurück. Sie schenkte sich ein Glas kaltes Wasser ein und noch ein Glas Stoli. Dann fuhr sie ihren Laptop hoch und tippte mit zitternden Händen in das Suchfeld von Google
« Kirby, Ward’s Island, New York». Nach 0,29 Sekunden wurden 566 000 Treffer angezeigt. Der erste verwies auf Kirby Forensic Psychiatric Center – Zentrum für forensische Psychiatrie. Ihr Herzschlag hallte dumpf in ihrem Kopf. ... Hochsicherheitsklinik … bietet sichere Behandlung ... forensische Patienten und Gerichte von New York City und Long Island ... Julia lehnte sich zurück und schloss die Augen. Kirby war die staatliche Psychiatrie für geisteskranke Straftäter. Und ihr großer Bruder war dort Patient.
KAPITEL 59
    J ULIA STAND vor der Wohnung mit der Nummer 1052, und ihre Finger verharrten für eine Weile über der Klingel, während sie versuchte, ihre Gedanken zu sammeln. Noch bevor sie klingeln konnte, wurde die Tür geöffnet.
« Was machst du denn hier?», fragte Tante Nora überrascht, und ihr Lächeln verwandelte sich schnell in ein besorgtes Stirnrunzeln.
« An einem Freitagnachmittag! Du bist doch wohl hoffentlich nicht gefeuert worden, oder?» Julia lächelte.
« Nein, keine Sorge. Ich wollte bloß mit dir und Onkel Jimmy reden.» Ihre Tante zog fragend die Augenbrauen hoch.
« Du willst mit uns reden? Hamm ... Das hört sich nicht gut an.» Sie zog Julia in die Wohnung und gab ihr einen dicken Kuss auf die Wange.
« Jimmy ist auf der Rennbahn.» Sie warf einen BHck auf den Gang.
« Wo ist der kleine Knirps?»
« Ich habe Moose zu Hause gelassen.»
« Oh.» Ihre Tante zuckte die Schultern und kehrte in die Küche zurück.
« Ich habe ihm ein paar Hundeknochen gekauft. Wann willst du am

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